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Respekt sieht anders aus

Von Martyna Czarnowska

Leitartikel

Tagespolitik überlagert das Gedenken an den Holocaust.


Offiziell standen sie im Mittelpunkt: die Millionen Opfer des Holocaust. Schließlich sollte beim internationalen Forum in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem an sie erinnert werden, anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Es fehlte daher weder an Bekundungen der Erschütterung noch an Mahnungen, gegen Antisemitismus vorzugehen.

Doch wenn dutzende Spitzenpolitiker aus mehreren Kontinenten zusammenkommen, wird auch Tagesgeschäft betrieben. So sind auch die Holocaust-Gedenkfeiern schon längst zum Politikum geworden. Im Hintergrund schwelen nämlich Animositäten bis hin zu Interessenkonflikten zwischen den Ländern. Spannungen gibt es nicht nur zwischen Russland und Polen, sondern ab und zu auch zwischen Polen und Israel. Dessen Premier Benjamin Netanjahu wiederum lässt kaum eine Gelegenheit aus, um vor den Gefahren zu warnen, die vom Iran ausgehen würden. Nur wenige Wochen vor der Parlamentswahl ließ er es sich schon gar nicht nehmen. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstützte die Idee seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin, eine Gipfelkonferenz der UN-Vetomächte zu organisieren.

Einer aber fehlte im Kreis der gewählten und gekrönten Staatsoberhäupter - und seine Abwesenheit wurde nicht nur in seiner Heimat kommentiert. Polen, das Land, in dem Auschwitz errichtet wurde und dessen Millionen Bürger während der Nazizeit ermordet wurden, war nur auf Botschafterebene repräsentiert. Präsident Andrzej Duda hatte seine Teilnahme in Jerusalem abgesagt. Denn ihm wurde kein Rederecht eingeräumt - anders als seinen Amtskollegen aus Russland und Deutschland. Auch die Sowjetunion hat Polen 1939 überfallen, und sollte Putin dies erneut leugnen, wollte Duda die Möglichkeit haben, zu widersprechen.

Sogar regierungskritische Medien in Polen können die Entscheidung des regierungstreuen Staatspräsidenten nachvollziehen. Gleichzeitig weist die Zeitung "Gazeta Wyborcza" darauf hin, dass Putins Geschichtsklitterung Duda in dessen Kampagne vor der Präsidentschaftswahl im Mai von Nutzen sein könnte. Der Pole wird sich seinen Landsleuten als Verteidiger der polnischen Sichtweise präsentieren.

Dem Russen aber kann eine Stärkung der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) nur recht sein. In Brüssel wird das derzeitige Kabinett in Warschau nicht auf unumschränkte Sympathie stoßen mit der Forderung, Sanktionen gegen Russland aufrechtzuerhalten.

Und die Opfer des Holocaust? Wie fühlen sich die Überlebenden angesichts der tagespolitischen Debatten, die sich auf das Gedenken legen? Respekt für sie und ihre Toten sieht anders aus.