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Aug in Aug mit der Urangst

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Das Coronavirus erinnert an unsere Verwundbarkeit. Das rührt an kollektiven Traumata.


Ist unser Umgang mit dem Coronavirus vielleicht doch Panikmache oder doch eher kluge Risikokalkulation, wo die Verantwortung damit anfängt, mit dem Schlimmsten zu rechnen, statt nur darauf zu hoffen, dass am Ende schon alles gutgehen werde?

Bei der Einordnung der Gefahren, die vom Coronavirus ausgehen, muss man ein bisschen in der Geschichte zurückgehen. Nur dann versteht man die enormen Emotionen und die weltweite Nervosität, mit der seit Wochen alle Augen auf diese genetisch hochvariable und auch die Arten überspringende Virusfamilie starren.

Die Folgen der Pandemien vergangener Jahrhunderte sind fester Bestandteil der kollektiven Traumata der Menschheit. Im 14.Jahrhundert raffte ein nach heutigen Erkenntnissen wahrscheinlich aus China oder Russland stammender Pesterreger bis zu einem Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung dahin. Die damals bereits beachtliche weltweite Vernetzung per Schiff und zu Land sorgte dafür, dass sich die hochansteckende Krankheit bis in den hintersten Winkel der Alten Welt verbreitete. Die Folgen des Massensterbens führten auch zu einer Revolution des Wirtschaftslebens auf vielfältigste Weise (unter anderem kam es zu einer Machtverschiebung zugunsten der Lohnabhängigen). Die fremden Keime, welche die Weißen in die Neue Welt mitbrachten, vernichteten einen Großteil der amerikanischen Indigenen. Und die Spanische Grippe forderte unter der vom Ersten Weltkrieg geschwächten Bevölkerung mindestens 25 Millionen Tote.

Nur aus diesen historischen Erfahrungen ist der Alarmismus verständlich, mit der wir jedem neuen Infektionsvirus begegnen. Hollywood genauso wie das Independent-Kino haben unseren Albtraum längst und zigmal hyperrealistisch inszeniert und verfilmt. Für das Grauen sorgt dabei die - jedenfalls mit bloßem Auge - unsichtbare Gefahr der Erreger sowie die ungeheure Rasanz, mit der sich der Tod dank offener Grenzen und leistungsstarker Massenverkehrsmittel rund um den Globus verbreiten kann. Das ist der perfekte Stoff, aus dem die Medien aller Gattungen ihre Geschichten formen.

Natürlich kann es sein, dass im Nachhinein die ganze Aufregung und der Alarmismus der Behörden als maßlos und übertrieben dargestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht einmal gering, wenn man bedenkt, dass die meisten vorhergesagten Katastrophen ausbleiben. Doch das ist das Denken von Spielern; Menschen in Verantwortung können, ja dürfen sich das nicht gestatten. Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen, um dieses auch zu verhindern.