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Hauptsache selbstbestimmt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Ein selbstbestimmter Tod passt in unsere Zeit. Die Skepsis darüber nicht.


Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, sagt der Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Und weiter: "Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren."

Mit diesem Urteil ist das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland Geschichte. Es ist keine einsame Entscheidung. Die Richter folgten jenem Weg, den die Schweiz, Belgien, die Niederlande und andere längst beschreiten. Und die Entscheidung wird weitere Nachahmer finden. Man muss kein Prophet sein, um die Prognose zu wagen, dass früher oder später wohl auch Österreich folgt.

Dabei sollten wir uns davor hüten, jetzt so zu tun, als ob unsere Gesellschaft dem menschlichen Leben verlässlich jenen besonderen Rang einräumt, von dem bei Feierstunden stets die Rede ist. Das ist nicht und war nicht der Fall. Leben und Sterben trug immer schon ein Preispickerl - ethisch und ökonomisch. Und wenn es die Umstände erforderten, wurden Grundsätze und Prinzipien passend gemacht.

Alle Ideologien haben sich darauf eine stimmige Rechtfertigung für die Ausnahme von ihren Regeln zurechtgelegt, nach der das Leben ein ganz besonderer Stoff ist, den es ausnahmslos zu schützen gilt. Die Religionen waren da so verlässlich mit dabei wie die Säkularen allen Zuschnitts. Lediglich in den wenigen Jahrzehnten nach 1945, als uns die Erfahrung noch in den Knochen steckte, zu was der Mensch imstande ist, war es Konsens uns selbst nicht zu trauen. Mittlerweile ist das Grundvertrauen in die souveräne Autonomie des Individuums offensichtlich wieder zurück.

Die Überzeugung, dass zu einem selbstbestimmten Leben auch ein selbstbestimmter Tod gehört, ist daher in sich schlüssig. Sie passt in die Gegenwart. Die Idee, dass das Leben ein Geschenk sein könnte, das man aus Prinzip nicht weggibt, ist aus einer anderen Zeit. Ob es damals schlecht war und heute besser, muss ebenfalls jeder für sich bestimmen. Auch deshalb ist dieses Urteil ein weiterer Sieg des liberalen Individualismus, der sein eigenes Wollen zum Maß nimmt. Diesem Denken verdanken wir das Ausmaß unserer Freiheit als Ich und Wir.

Umgekehrt gibt es kein Gebot, dass jeder Sieg auch laut bejubelt werden muss. Wohin uns diese neue Freiheit führen wird, müssen wir nämlich erst noch erkunden. Skepsis ist angesichts der bisherigen Menschheitsleistung beim Umgang mit dem Leben durchaus angebracht.