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Hässliche Bilder

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Die Türkei droht mit dem Ende des Flüchtlingspakts. Weil die großen Fragen ungelöst sind, setzen alle auf die Kraft hässlicher Bilder.


Entgegen der internationalen Nachrichtenlage ist das Sterben und Kämpfen in Syrien nicht vorbei. Nur gelesen und gehört hat man zuletzt wenig davon. Dass dieser Krieg jetzt zurück in den Schlagzeilen ist, dazu hat ein kurzer Satz eines anonymen türkischen Beamten ausgereicht, der genau auf den wunden Punkt der europäischen Öffentlichkeit abgezielt hat.

"Die Türkei hat ihre Grenzen für Flüchtlinge nach Griechenland und Bulgarien geöffnet" - mehr hat es nicht gebraucht, um in Europa die Alarmglocken schrillen zu lassen und die Bilder aus 2015/16 von Flüchtlingstrecks abzurufen, die damals über den Balkan gen Norden, in die EU, zogen. Eine Wiederholung will die EU unbedingt verhindern.

Zwar hat die EU seitdem kein einziges der grundsätzlichen Probleme im Asyl- und Migrationsbereich zu lösen vermocht - Stichwort Reform des Dublin-Verfahrens, Einführung einheitlicher Asylregeln -, doch natürlich haben sich die hauptbetroffenen Staaten auf die Möglichkeit einer neuen Flüchtlingskrise vorbereitet. Zu oft hat die Türkei bereits in der Vergangenheit mit einer Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens aus dem Jahr 2016 gedroht, das Ankara im Gegenzug für Milliarden-Euro-Unterstützungen dazu verpflichtet, syrische Flüchtlinge zurückzunehmen. Bisher hat die Türkei zwar, wie auch jetzt wieder, ihre Drohungen immer schnell zurückgenommen, trotzdem haben Bulgarien und Griechenland prompt die Sicherheitsvorkehrungen an ihren Grenzen verschärft.

Hässliche Bilder wird es im Fall der Fälle trotzdem geben. Und Recep Tayyip Erdogan, der autoritär regierende türkische Präsident, weiß um deren Wirkung auf die europäische Öffentlichkeit. Wobei ja auch Europa bereit ist, mit der abschreckenden Wirkung von hässlichen Bildern zu arbeiten: Was sonst sollen die Berichte von den Elendslagern auf den griechischen Inseln vor der türkischen Küste an die Flüchtlinge signalisieren, als: "Kommt nicht hierher!"

Am liebsten würde die EU Syrien aus ihrem Bewusstsein streichen, hat sie doch nicht die Kraft, dort Frieden und Stabilität herbeizuführen. Erdogan dagegen arbeitet darauf hin, die EU in Geiselhaft für die Verfolgung eigener Ziele in Syrien zu halten, wo er eine riskante Militäraktion gegen die syrisch-russische Allianz führt. Seine mächtigsten Hebel sind die Millionen Flüchtlinge aus Syrien und die Nato-Mitgliedschaft seines Landes.

Die emotionalisierende Wirkung hässlicher Bilder von Leid und Tod ist dagegen auf allen Seiten ein Mittel zum Zweck.