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Schon wieder eine Zäsur?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Verändert das Coronavirus den Lauf der Welt? Unwahrscheinlich, zumal die neue Richtung längst eingeschlagen ist.


Entgegen einer weitverbreiteten Überzeugung benötigt es Zeit, viel Zeit, um die Folgen neuer Entwicklungen einzuordnen. Vorschnelle Urteile sind deshalb oft der kürzeste Weg zu groben Fehldiagnosen. Davon hat es zuletzt einige gegeben: Wie viele waren nicht überzeugt, dass die irrwitzigen Auswüchse eines Finanzkapitalismus außer Rand und Band zwingend zur Renaissance der politischen Linken führen würden? Wer erinnert sich noch an die Fantasien von der Möglichkeit eines Arabischen Frühlings, wer an die Träumereien vom Bau eines neuen, eines besseren Europas im Zuge der Migrationskrise? Bei all diesen Schnellschuss-Analysen war fast immer der Wunsch der Vater der Gedanken.

Es ist also Vorsicht geboten, wenn jetzt das Coronavirus als Wendepunkt der radikalen Globalisierung der vergangenen drei Jahrzehnte gedeutet wird. Deren Erfolgslauf war von jenem Nutzen getrieben, der eine weltweite Aufteilung von Fertigungsprozessen nach Produktionskosten mit sich bringt. Als Gegengewicht dominiert heute längst die wachsende Angst vor unliebsamen einseitigen Abhängigkeiten. Das Coronavirus zeigt vor, dass dieser Instinkt auch ganz ohne politische Hintergedanken funktioniert, wie er etwa bei sicherheitsrelevanten Technologien und strategischen Rohstoffen federführend am Werk ist.

Eine Neubewertung von Kosten und Nutzen einer tatsächlich weltumspannenden Globalisierung hat allerdings schon lange zuvor begonnen: Ihr verdankt Donald Trump seine Wahl ins Weiße Haus, aus ihr beziehen all die NGOs ihre Energie für den Kampf gegen internationale Handelsabkommen. Die Sorge vor Lieferengpässen bei lebensrettenden Medikamenten und stillstehenden Fertigungsstraßen wegen ausbleibender Komponentenlieferungen hat diesen Bedenken nur eine weitere leicht verständliche Gestalt verschafft.

Die neue Dynamik beim Klimaschutz wird ebenfalls für eine Neukonzeption der Produktionsprozesse aus ganz eigener Kraft sorgen. Halbfertige Güter wegen eines Produktionsschrittes um den Globus zu schicken, wird, wenn die Reisekosten eingepreist sind, ohnehin bald der Vergangenheit angehören.

Für Europa liegt darin eine Chance, sich selbst und seine industrielle Basis neu zu ertüchtigen. Die Gefahr liegt, wie bei jedem neuen Trend, in Übertreibung und Zuspitzung. Die globale Vernetzung hat die Welt nicht nur wohlhabender, sondern auch sicherer gemacht. Zumindest diese beiden Erfolge dürfen der Neubewertung der Globalisierung nicht geopfert werden.