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Gegen die Kernschmelze

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Im Kampf gegen die Krise werden alle Geldschleusen geöffnet. Richtig, aber auch das wird Folgen haben.


Jede außergewöhnliche Situation verlangt nach Einordnung, und der Vergleich mit anderen Zeiten und anderen Regionen ist das Mittel dazu. Wirtschaftlich gilt heute die Finanzkrise ab 2008 als Maß aller Dinge. Diese nahm im US-Finanzsektor ihren Ausgang und erfasste auch Europa. Für stabile Staaten wie Deutschland und Österreich genügten abgestimmte Maßnahmen wie Abwrackprämien und Kurzarbeit, um die Krise durchzutauchen; Griechenland, Spanien, Italien oder Portugal sind dagegen noch heute von den damaligen Sparmaßnahmen gekennzeichnet.

Ob die aktuelle Krise ähnlich langfristige Folgen haben wird, lässt sich heute unmöglich abschätzen. Noch lebt die Hoffnung, dass es nur zu einem kurzfristigen Einbruch kommt, wenn der amtlich verordnete Stillstand fast des gesamten Wirtschaftslebens nicht viel länger als zwei Wochen anhält. Doch die jüngsten Daten aus China zeigen, dass die Wirtschaft dort deutlich härter getroffen wurde, als es die ersten Prognosen vermuten ließen. Das Gleiche wird auch für Europa - samt USA und Südamerika - gelten, wenn der Stillstand erst einmal in allen Bereichen angekommen ist.

Unternehmen, die nichts verkaufen und keine Einnahmen haben, zahlen weder Löhne noch Rechnungen, weder Steuern noch Abgaben und auch keine Kredite und tätigen schon gar keine Investitionen. Dann tritt eine wirtschaftliche Kernschmelze ein, die an ihrem Ende nichts und niemanden verschont.

Um das zu vermeiden, müssen Regierungen und ihre Hilfsadjutanten versuchen, dieses Szenario zu durchkreuzen und den Unternehmen zu helfen, durch diese unverschuldete Krise zu kommen. Immerhin politisch dürfte dies um einiges leichter fallen als die Bankenpakete zur Zeit der Finanzkrise. Jetzt ist es die Realwirtschaft, die Steuergeld zum Überleben erhält, um damit zuallererst Löhne zu zahlen und Rechnungen zu begleichen und später hoffentlich wieder zu investieren, Kredite zurückzuzahlen und Steuern zu entrichten.

Das wird für normale Menschen unvorstellbare Summen erfordern. Aber es lohnt sich, weil mit einiger Sicherheit die Rechnung für den Staat, also uns alle, im Kernschmelz-Szenario noch höher ausfallen würde.

Geld ist nicht mehr nur ein anerkanntes Zahlungs- und Tauschmittel, sondern in einem Ausmaß wie nie zuvor der Stoff, mit dem unsere Gesellschaft am Laufen gehalten wird. Und wenn man mehr, auch viel mehr davon braucht, schöpft man eben neues Geld. Die Probleme, die sich daraus irgendwann ergeben, werden zu lösen sein. Irgendwann, nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann gewiss.