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Erste Bilanz der neuen Zeit

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Manche Wahrheit aus der Welt von gestern erscheint heute schon ziemlich hohl.


Die erste Woche der "neuen Zeitrechnung" (Zitat Gernot Blümel) ist geschafft. Zeit für eine vorläufige Bilanz: Wie unterscheidet sich eine Gesellschaft im Krieg gegen das Coronavirus von der Welt von gestern?

Wie Tag und Nacht. Das soziale Leben hat sich radikal auf die Kernfamilie in den eigenen vier Wände eingeengt und in die digitale Welt verlagert. Zwar dürfen die Menschen noch hinaus, aber dort weicht aus, wer einem beim Spazierengehen oder Joggen entgegenkommt - und man selbst tut es auch. Die Hand zum Gruß zu reichen, gilt heute als Übergriff. Dabei wollten manche quasi gestern noch das Händeschütteln zum abendländisch-aufgeklärten Kulturgut erklären. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. So ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen.

Wer hätte sich vorstellen können, dass das allgegenwärtige Thema Klimaschutz binnen kürzester Zeit aus den News verschwindet? Bei der Tragödie in Syrien und dem Elend in den Flüchtlingslagern war das schon eher zu erwarten. Da hat auch zuvor ein mittlerer Skandal ausgereicht, um die beiden zu Kurzmeldungen zu degradieren. Doch beim Klimaschutz waren sich alle einig, dass dieses Thema gekommen ist, um zu bleiben. Es wird zweifellos zurückkommen, aber vorerst ist die unmittelbare Gesundheit den Menschen wichtiger.

Auch von der exponentiell (auch dieser Begriff zählt zu den Krisengewinnern) gestiegenen Verwundbarkeit unserer vielfältig miteinander verwobenen Welt haben wir oft gehört. Doch gespürt haben wir nur deren Vorteile. Jetzt erleben wir die Nachteile, wenn die Zahnräder plötzlich nicht mehr ineinandergreifen.

Eine Überraschung war schließlich auch das Ausmaß, in dem die Nationalstaaten in Europa das Krisenmanagement bestimmen. Was zwar nur konsequent ist, schließlich ist Gesundheit nationale Kompetenz. Möglicherweise schlägt die Stunde der EU, wenn es um die Koordination und Steuerung des Wiederaufbaus (ja, auch dieser Begriff ist nicht zu hoch gegriffen) geht. Für den Moment jedoch kann Brüssel nicht mehr tun als appellieren, kommentieren und Hilfestellung für die Zeit danach zusagen.

Der Gedanke, dass Geld relativ ist und eigentlich beliebig vorhanden, wenn es die Umstände nur erfordern und die Verantwortlichen das auch wollen, ist ja spätestens seit der Finanzkrise in der Welt. Für eine Handvoll Eingeweihter war zwar auch das keine Überraschung, sehr wohl aber für die schwäbische Hausfrau und alle ihre Kinder. Zwar wusste der Volksmund schon immer, dass Gesundheit mit Geld nicht aufzuwiegen ist, aber künftig wird der Streit um Budgetdefizite und Staatsschulden ein anderer sein.