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Die EZB muss sich erklären

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Das deutsche Höchstgericht hat genug von Improvisation als Krisenpolitik.


Immerhin, der deutsche Verfassungsgerichtshof hat das umstrittenen und Billionen-Euro-schwere Kaufprogramm von Staatsanleihen der Europäischen Zentralbank nicht als verdeckte monetäre Staatsfinanzierung gewertet. Das ist kein kleiner Erfolg für den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

Doch was die Karlsruher Richter sonst zu Recht erklärten, kommt einem schweren Rüffel unter Kollegen gleich: Sie sehen sich nicht an das Urteil des EuGH gebunden, der Ende 2018 das nicht nur in Deutschland umstrittene Staatsanleihekaufprogramm (PSPP) durchwinkte; vielmehr sei dieser Richterspruch methodisch nicht mehr vertretbar und erscheine objektiv willkürlich. Erst diese - aus deutscher Sicht - oberflächliche europäische Prüfung einer Rechtsfrage von eminenter Bedeutung habe den Weg freigemacht, das Handeln der EZB einer eigenen, nationalen Prüfung zu unterziehen. Und das Ergebnis hat es in sich: Nach Auffassung des Gerichts hat die EZB mit diesem Programm ihre Kompetenzen überschritten.

Es ist dies das erste Mal, dass das besonders einflussreiche Höchstgericht des mächtigsten EU-Mitgliedstaates so klare Worte findet; bei den zahlreichen bisherigen Klagen hat Karlsruhe noch stets salomonisch mit "Ja, aber" Recht gesprochen, hat versucht, das deutsche Grundgesetz mit europäischen Notwendigkeiten und Kompromissen zu vereinbaren. Im Wissen darum, wie viel auf dem Spiel stand und steht. Bis jetzt.

Der EZB-Rat muss nun die Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe prüfen und deren Vorteile all den Nachteilen für Sparer und Immobilienpreise gegenüberstellen. Geschieht dies überzeugend, kann auch die Deutsche Bundesbank weiter an dem Hilfsprogramm teilnehmen. Die Richter selbst haben also bereits einen Ausweg aus dem Dilemma skizziert, das ihr eigener Spruch geschaffen hat.

Allerdings liegt schon in dieser Prüfung der Keim für neuen politischen Streit zwischen den Nutznießern und Leidtragenden der ökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone. Und selbst wenn dieser entschärft werden kann, bleibt die Premiere, dass ein nationaler Gerichtshof dem EuGH die Gefolgschaft verweigert. Bisher galt, dass europäisches Recht Vorrang vor nationalem Recht hat. Dieses Prinzip scheint jetzt in Frage gestellt. Mit womöglich unabsehbaren Folgen für den europäischen Integrationsprozess.

Wobei Karlsruhe mit einem Argument recht hat: Wie gerade die Corona-Ausnahmesituation zeigt, braucht es besonders in Krisen ein festes und rechtlich einwandfreies Fundament für die Entscheidungen der Politik; das gilt auch für die politischen Entscheidungen der EZB.