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Richter als Spielball

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Das Problem ist nicht Trump, sondern dass sich alle, selbst Richter, seiner Logik unterwerfen.


Selbst die beste Verfassung scheitert bei der Bewahrung der Demokratie, wenn Politik und Wähler dagegen anarbeiten. Tatsächlich gilt der auf die Bedeutung des liberalen Rechtsstaats gemünzte Satz von Ernst-Wolfgang Böckenförde, wonach "der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann", und umgekehrt: Auch Höchstgerichte haben die Macht, die Zerrüttung der Demokratie herbeizuführen, wenn sie sich selbst der nackten Logik des Parteienwettbewerbs unterwerfen.

Die Rede ist, wieder einmal, von den USA unter Donald Trump. Zweifellos ist es so, dass den Kritikern dieses US-Präsidenten plötzlich unangenehm ins Auge sticht, was unter seinen Vorgängern übersehen und manchmal auch bewusst ignoriert wurde. Der größte Vorwurf, den man ihm machen kann, ist, dass er in bisher nicht gekanntem Ausmaß bereit ist - und andere dazu bringt -, geschriebene und ungeschriebenen Regeln zu seinen Gunsten zu biegen.

Erfunden hat Trump dies jedoch keineswegs. Dass Mächtige sich nehmen, was ihnen nicht verwehrt wird, ist keine neue Erkenntnis. Das zeigt sich auch im erbitterten Kampf zwischen Republikanern und Demokraten um die politische Ausrichtung des Supreme Court nach dem Tod der liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg: Arthur Kennedy war wohl der letzte Höchstrichter, den beide Parteien bestellten, und das war 1987 unter Ronald Reagan. Seitdem begreifen beide Parteien die Nominierung von Höchstrichtern als Nullsummenspiel, wo es nur Gewinner und Verlierer gibt. Auch weil die Richter, gewählt auf Lebenszeit, sich dem nach ihrer Wahl nicht entziehen. Getreu dieser Logik hat Trump nun angekündigt, zum Wochenende seine Kandidaten für das Richteramt zu nominieren. Der Unterstützung des republikanische Mehrheitsführers im Senat, Mitch McConnell, kann er sich sicher sein, auch wenn dieser noch 2016 dem damaligen Präsidenten Barack Obama das Nominierungsrecht kurz vor der Wahl verweigerte.

Prompt rechnen sich jetzt die Demokraten gute Chancen auf die Eroberung des Senats aus, weil dieses Vorgehen republikanische Wackelkandidaten bei der Wahl Stimmen kosten könnte. Was sie dabei übersehen: Mit Wertefragen über das Zusammenleben - und dabei geht es beim Supreme Court - hat Trump am 3. November immer noch bessere Wahlchancen, als wenn es um seine erratische Corona-Krisenpolitik geht. Doch bei all dem gerät in den Hintergrund, dass das US-Höchstgericht nur deshalb so einflussreich für den US-Alltag wurde, weil die Parteien Politik zum Nullsummenspiel erniedrigten, statt Gemeinschaft zu stiften.