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Spielball Schule

Von Judith Belfkih

Leitartikel

Bei den Schulen werden politische Entscheidungen in die Familien ausgelagert.


"Nun sag, wie hast du’s mit der Schule"? Die Gretchenfrage dieser Tage dreht sich ums Distance Learning. Die höchst unterschiedlichen Antworten, die Eltern darauf derzeit parat haben, sagen nicht nur etwas über deren faktische Lebensrealität aus. Denn die Möglichkeit der Betreuung am Schulstandort werden diesmal - im Gegensatz zum März - nicht nur Polizistinnen und Pädagogen, Verkäuferinnen und Pfleger, Ärztinnen und Busfahrer in Anspruch nehmen. Auch nicht nur all jene, die durch beengten Wohnraum, fehlende technische Möglichkeiten, psychische Überlastung des Systems Familie oder etwaige sprachliche Barrieren eingeschränkt sind. Sein Kind in die Schule zu schicken oder im Kindergarten betreuen zu lassen, wird nicht nur zur Herausforderung, mit der Familien großteils allein gelassen werden, sondern auch zum politischen Statement.

Die Debatte, ob Schulen im zweiten Lockdown geschlossen werden sollen, entzweit seit Wochen. Virologen streiten über die Virenlast von Kindern und die pandemische Rolle von Schulen, Politiker streiten über die Zumutbarkeit und Sinnhaftigkeit der Schlussfolgerungen aus den divergierenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Netzgemeinde spiegelt diesen fehlenden Konsens höchst emotional wider.

Die Uneinigkeit, die politisch hinter den aktuellen Maßnahmen steht, sieht man den Verordnungen in Sachen Kinderbetreuung an. Homeschooling und Homeoffice: Ja bitte. Sonderbetreuungszeiten, um Kind und Arbeit zuhause unter einen Hut zu bekommen: Leider nein. Dass sich beides nicht ohne gröbere soziale Schäden ausgeht, hat Lockdown 1 gezeigt. Das Traurige: Die politische Uneinigkeit auf Kosten von Familien, von Kindern und damit einmal mehr auf dem Rücken der sie vorwiegend betreuenden Mütter auszutragen, ist unverantwortlich, willkürlich und weder sozial verträglich noch langfristig sinnvoll. Bei allem Respekt vor der Eigenverantwortlichkeit des oder der Einzelnen: Sich aus politischer Unentschlossenheit an Familien schadlos zu halten, meint diese Selbstbestimmtheit nicht.

Die Entscheidung, ob Schulen geschlossen bleiben oder nicht, wird aktuell den Familien übertragen. Schicken am Dienstag alle ihre Kinder in die Betreuung, bleiben Schulen de facto geöffnet. Bleibt ein Großteil zuhause, sind sie so gut wie zu. Mit direkter Demokratie hat das wenig zu tun, es ist das Verweigern politischer Verantwortung. Familien bestmöglich dabei zu unterstützen, ihren Beitrag zur Eindämmung der Corona-Krise zu leisten, an diesem recht naheliegenden Ziel, das eine Gesellschaft eigentlich einen und nicht spalten sollte, ist die Regierung damit gescheitert.