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Dagegen-Sein

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Die Lockerung des Lockdowns nähert sich einer Normalität an, die die Politik schon erreicht hat.


Was es brauche, so erklärte der Bundespräsident am Mittwoch vor Bekanntgabe der Öffnungsschritte, sei "jetzt mehr denn je eine gute Zusammenarbeit aller relevanten Kräfte in unserer Gesellschaft". Solch verbindende Appelle gehören zum Jobprofil eines Staatsoberhaupts, und Alexander Van der Bellen ist hier in seinem Element.

Um die Regierung - um diese wie jede andere - muss man sich dabei keine Sorgen machen. Um das größere Ganze sehr wohl. Zur Demokratie gehört nicht nur das Zusammenhalten, sondern auch das Dagegen-Sein. Das ist nicht immer einleuchtend und oft eine Tortur, trotzdem fehlt etwas Grundsätzliches, wenn in der Politik alle einer Meinung sind und niemand dagegen argumentiert.

Die beispiellose Bedrohung hatte im Frühjahr diesen politischen Naturzustand durch eine Ausnahmesituation ersetzt, die instinktiv alle zusammenrücken ließ. Davon kann längst keine Rede mehr sein. Stattdessen liefert sich die türkis-dominierte Regierung mit den rot-regierten Ländern einen Kleinkrieg, bei dem Substanz und Lächerlichkeit oft verschwimmen. Sogar die auf Radikalopposition gebürstete FPÖ arbeitet in den Ländern und Gemeinden, wo sie tatsächlich Verantwortung trägt, konstruktiv mit. Womöglich hat das den Bundespräsidenten zu seiner Aufforderung motiviert.

Dagegen-Sein ist mindestens so sehr von inhaltlicher Überzeugung wie von parteipolitischer Strategie getragen. In der Theorie verbinden sich die Argumente und Ideen von Mehrheit und Minderheit zu einer besseren Synthese; im parlamentarischen Alltag ist das zwar noch immer öfter der Fall, als es die oft gehässige Rhetorik vermuten lassen würde, aber wirklich die Regel ist es nicht.

Das für die Demokratie systemrelevante Dagegen-Sein erlebt in der Corona-Krise seinen Härtetest. Zum einen, weil es eben um Fragen von Leben und Tod und die wirtschaftliche Existenz zahlloser Menschen geht. Zum anderen, weil sich daraus natürlich auch handfeste Folgen ergeben: Mit der Zahl der Meinungen steigt auch die Unsicherheit, worunter wiederum die Einhaltung sinnvoller Maßnahmen leiden kann, was wiederum das Ziel gefährden könnte, die Pandemie schnell und effizient zu überwinden.

Die Last der Verantwortung trägt in erster Linie die Regierung, die zudem die Wahl hat, ihren Weg durchzuziehen oder Kritiker einzubinden. Am Ende geht es aber um das Vertrauen in die Demokratie, auch schwere Krisen erfolgreich zu überwinden.

Womit wieder der Appell des Bundespräsidenten zur Zusammenarbeit ins Spiel kommt.