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Die Krisengewinner

Von Marina Delcheva

Leitartikel
Marina Delcheva ist Leiterin des Ressorts "Wirtschaft" bei der "Wiener Zeitung".

Finanz- und Realwirtschaft driften weiter auseinander.


Jede Krise hat ihre Gewinner. Diesmal sind es die Tech-Giganten. Das jüngste Beispiel eines solchen Krisengewinners lieferte die Vermietungsplattform Airbnb bei ihrem Börsengang. In einer Zeit, in der Reisen de facto nicht stattfinden, wird ein Konzern, der Appartements an Reisende vermittelt und auf Jahressicht noch nie einen Gewinn erwirtschaftet hat, mit 47,3 Milliarden US-Dollar bewertet und nimmt beim Börsengang auf einen Schlag 3,5 Milliarden ein. Ein anderes Beispiel ist Amazon-Gründer Jeff Bezos. Der reichste Mann der Welt ist heute laut dem Bloomberg-Billionairs-Index um 67,2 Milliarden Dollar reicher als zu Jahresanfang.

In einer Zeit, in der die Pandemie die Weltwirtschaft in die Knie gezwungen hat, freuen sich die Börsen über Rekordzuwächse. Der Nasdaq-100, der weltweit wichtigste Technologie-Index, wo auch Giganten wie Facebook und Apple gelistet sind, legte seit Jahresbeginn um 45 Prozent zu.

Absolut gar nichts ist an wirtschaftlichem Erfolg verwerflich. Corona hat der Digitalisierung einen Boost verschafft und davon profitieren nun einmal jene mit dem besten digitalen Geschäftsmodell. Aber die Finanzwirtschaft und die Realwirtschaft driften immer weiter auseinander. Und das Gleichgewicht im Wirtschaftssystem droht zu kippen. Denn während die Börsen Renditen-Rekorde feiern, nehmen Staaten Unsummen in die Hand, um die Realwirtschaft irgendwie am Leben zu erhalten. Für die Zeit nach Corona, wenn die Menschen wieder in Lokale gehen, verreisen, bummeln und einkaufen.

Die EU-Länder haben bisher 27 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung - 3,5 Billionen Euro - für Corona-Maßnahmen ausgegeben, um Unternehmen liquide zu halten und Arbeitsplätze zu sichern. Am Donnerstag beschloss die Europäische Zentralbank weitere 500 Milliarden Euro für Covid-Maßnahmen und stockt ihr Notkaufprogramm auf 1,83 Billionen Euro bis 2022 auf. Der Leitzins bleibt bei null, was Aktienanlagen übrigens noch interessanter und lukrativer macht. Staaten verschulden sich gerade besonders schnell und in besonders hohem Ausmaß, um Programme wie Umsatzersatz oder Kurzarbeit zu finanzieren. Einige schlittern gerade ungebremst in die nächste Schuldenkrise, die noch größerer Rettungsschirme, Haftungsübernahmen und Schuldenschnitte bedürfen wird.

Am Ende stellt sich die Frage, wer das alles bezahlen soll? Immer der Steuerzahler. Demnächst beraten die OECD-Länder wieder über eine globale Digitalsteuer für Internetgiganten. Bevor die Mitgliedstaaten die Gespräche darüber wieder vertagen, wegen nationalstaatlicher Interessen, sollten sie sich langsam darüber einig werden, welchem Steuerzahler welcher Beitrag zum Allgemeinwohl zuzumuten ist.