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Ein Urteil als Auftrag

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Gegen den Trend bleibt die aktive Sterbehilfe verboten. Darin liegt aber eine klare Botschaft an die Politik.


Wie geht eine Gesellschaft mit Fragen von Leben und Tod um, wenn bereits das Tragen von Masken in einer Pandemie, die Musik von Andreas Gabalier, der Humor von Lisa Eckhart oder Fliegen als Ausweis einer ethischen Grundsatzhaltung gelten? Dass es uns nicht immer leichtfällt, das Wichtige vom Unwichtigen und dies mit der notwendigen Ernst- und Gewissenhaftigkeit zu unterscheiden, ist offensichtlich.

Die Haltung zur Frage der Sterbehilfe ist so eine Frage von herausragender Bedeutung. Und keiner und keine sollte sich seine Meinung zu diesem im Wortsinn existenziellen Thema einfach machen. Zu viel steht für den Einzelnen wie die Gesellschaft auf dem Spiel. Leicht hat es sich auch der Verfassungsgerichtshof nicht gemacht: Seit dem Frühjahr beraten die Höchstrichter, höchst kontrovers, wie zu hören war.

Jetzt steht sie fest: Das Verbot der aktiven Sterbehilfe nach Paragraf 77 des Strafgesetzbuches bleibt in Kraft, aufgehoben hat das Höchstgericht dafür die Mitwirkung am Suizid nach Paragraf 78. Die Antragsteller forderten die Freigabe der Sterbehilfe.

Damit liegen die Kritiker im Trend. Obwohl die Mehrzahl der Staaten Sterbehilfe nach wie vor unter Strafe stellt, weist der vorgeblich progressive Trend in Gegenrichtung. Erst im Februar hat das deutsche Bundesverfassungsgericht einen selbst gewählten Tod unter Mitwirkung anderer zum Grundrecht erklärt - und damit auch deren geschäftsmäßiges Betreiben erlaubt. Die Schweiz hat daraus ein Businessmodell gemacht. Die Praxis zeigt, dass die Anwendung der Sterbehilfe stets ausgreift - auf Demenzkranke, Kinder, Lebensmüde. Eine Begrenzung auf wenige, medizinisch aussichtslose Fälle ist illusorisch.

Für die nunmehrige Aufhebung des Beihilfeverbots sprechen weniger grundsätzliche als praktische Gründe. Die Grenzen beim Sterben sind fließend, was die betreuenden Ärzte juristisch angreifbar macht. Der Tod hält sich nicht an die vorgebliche Eindeutigkeit juristischer Kategorien. Die Menschen, die dabei die schwierige Verantwortung tragen, gilt es zu schützen. Mit der Aufhebung des Paragrafen 78 soll dieses Ziel erreicht werden.

In der Beibehaltung des Verbots der aktiven Sterbehilfe liegt neben dem Signal aber auch eine Verpflichtung. Wer als Gesellschaft dafür eintritt, muss es auch für die Hospiz- und Palliativbetreuung tun. Nur wenn es uns als Gemeinschaft gelingt, Sterbende auf ihrem Weg menschenfreundlich und menschenwürdig zu begleiten, erhält der Verzicht auf das Mittel der aktiven Sterbehilfe das nötige moralische Fundament. Das ist nicht billig, sollte uns aber lieb und teuer sein.