Zum Hauptinhalt springen

Weil jeder Tag zählt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Der Impfstoff kommt jetzt nach massivem Druck schneller. Ein Zeichen wachsender Panik.


Vom britischen Premier Harold Macmillan, einem Konservativen (dies als Information für alle, die eine Einteilung nach dem Links-Rechts-Schema für das weitere Nachdenken brauchen), ist ein bemerkenswerter Satz überliefert. Als dieser einmal von einem jungen Journalisten gefragt wurde, was er für seine Regierung am meisten fürchte, gab ihm Macmillan die denkwürdige Antwort: "Ereignisse, mein Junge, Ereignisse."

Das klingt wie ein banales Bonmot, doch darin steckt eine fundamentale Wahrheit über verantwortliches Handeln ganz allgemeiner Natur. Mit weltanschaulichen Überzeugungen allein und schon gar nicht mit fein austarierten Kompromissen für die nächsten fünf Jahre kommt man im Angesicht von solchen "Ereignissen" nicht weit.

Neun Monate nach Ausbruch der Pandemie gilt Macmillans Satz noch immer, nur umgekehrt. Kein neues Ereignis, das der düsteren Lage eine neue Wendung geben könnte: Das ist jetzt die größte Furcht jeder Regierung. Dank der Verfügbarkeit eines ersten Corona-Impfstoffs ist eine solcher neuerlicher "Game Changer" endlich zum Greifen nahe.

Die Verzweiflung der Regierenden, aller Regierenden in Europa, kann man an dem Druck ermessen, der auf der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA gelastet hat, den Impfstoff so schnell wie möglich freizugeben. Weil eben tatsächlich mittlerweile "jeder Tag zählt", wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte. Vor allem Deutschland hievte sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale, um noch vor Weihnachten für grünes Licht zu sorgen. Statt dem 29. will die Behörde jetzt doch schon am 21. Dezember den Startschuss für die größte Impfaktion in Europa geben.

Diese neun Tage werden jedoch noch mit einem Preisschild zu versehen sein. Der EU war es wichtig, im Gegensatz zu den USA auf ein Notfallprozedere und nationale Alleingänge zu verzichten - auch aus Haftungsgründen. Auf die paar Tage auf oder ab, so lautete noch vor kurzem der einhellige Konsens, komme es nach neun Monaten der Pandemie auch nicht mehr an.

Falsch gedacht. Unmittelbar vor Weihnachten drohen immer mehr Regierungen in den Panikmodus zurück zu kippen, der im Frühling überwunden schien. Die Aussicht auf einen Winter mit zahllosen Toten und einer dritten Welle nimmt jetzt auch das unschöne Bild von einem durchgepeitschten Zulassungsverfahren in Kauf. Aus schierer Not nach einem neuen "Ereignis".

Und die besorgniserregende Impfskepsis viel zu vieler Menschen? Die muss jetzt vorerst warten.