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Die unterlassene Debatte

Von Simon Rosner

Leitartikel

Ist die Öffnung der Skigebiete gerecht?


Am Wochenende zog es Zigtausende die Skigebiete. Das war auch explizit der Sinn, als die Regierung grünes Licht für diese Öffnung gab. Weniger sinnvoll waren dann Fotos von Menschenschlangen, die sich über Social Media verbreiteten, Empörung auslösten und deutsche Medien zu Schlagzeilen wie "Ischgl 2 ist vorprogrammiert" inspirierten - was übrigens ein Zitat aus (richtig!) Twitter war. Dort wurde der Artikel dann natürlich auch ausgiebig geteilt.

Das mag zwar einerseits bar jeder Sachlichkeit sein, denn mit den Vorkommnissen von Ischgl hatte der Sonntag schlicht gar nichts zu tun, andererseits handelt es sich um eine längst bekannte Dynamik, wie sozialmediale Emotion flugs zur Wahrheit wird, zumal der Foto- oder Videobeweis eindeutig schien. Tatsächlich waren am Sonntag mehr als 100 Skigebiete in Österreich offen, Probleme gab es nur vereinzelt, etwa in Hinterstoder, und dort auch primär vor der ersten Bergfahrt. Insgesamt waren laut Betreiber 3.000 Gäste auf den Pisten, die normale Beförderungskapazität liegt jenseits der 24.000 pro Stunde. Ein Blick auf die Webcams aus den Skigebieten am Montag zeigte: Leere.

Doch hinter der Aufregung über die Fotos steckt mehr als nur die Sorge um einen epidemiologischen Boost. Es geht auch um Gerechtigkeit. Skifahren muss man nicht, es ist nur eine Annehmlichkeit, wie es der Kino- oder Museumsbesuch ist. Was diese Freizeitaktivitäten gemeinsam haben, ist, dass sie risikoarm zu organisieren wären. Aber nur das Skifahren ist erlaubt. Was diese Beispiele ebenfalls eint: Sie tragen insgesamt zur Erhöhung von Kontakten bei, die im Lockdown möglichst umfassend beschränkt sein sollen. Eine Ansteckung kann auch im Streit um den Parkplatz bei der Talstation passieren oder wenn sich zwei Freunde zufällig auf dem Weg ins Museum treffen. Am besten also alles verbieten? Nicht unbedingt. Gerade diese Annehmlichkeiten können Fadesse und Mühsal eines Lockdowns mildern und die Mitwirkung fördern. Es ist aber logisch, nicht alle kleinen Annehmlichkeiten zu erlauben, selbst wenn sie für sich genommen nur kleine Risiken darstellen. Gemeinsam würden sie sich zu einem großen Gesamtrisiko für das Infektionsgeschehen addieren.

Die Regierung hat das Skifahren priorisiert. Viele Tausende freut das, viele andere Tausende nicht. Die Abwägung, was erlaubt wird und warum, hat die Regierung im Vorfeld nicht diskutiert, sondern verfügt. Das kann sie zwar tun, aber dann muss sie auch mit geringerer Akzeptanz, Empörung und, im schlechten Fall, sinkender Mitwirkung rechnen. Es gehört auch zu den Aufgaben der Politik, unterschiedliche Interessen zu moderieren. Das ist bestenfalls hinter verschlossenen Türen passiert. Die Aufregung war daher - wie hieß es noch auf Twitter? - vorprogrammiert.