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Impfung gegen Egoismus

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Solidarität wird in der Pandemie zum Eigeninteresse.


Das Virus ist ein Angriff auf die Ego-Gesellschaft, in der vor lauter "Ich! Ich! Ich!" kein Platz mehr ist für das Wir. Solidarität wird in der Pandemie zum Eigeninteresse.

Beispiel Impfung: Die Entscheidung, sich impfen zu lassen, fällt relativ leicht: Das Serum verspricht Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19 und mit großer Wahrscheinlichkeit kann die Impfung auch verhindern, dass Geimpfte das Virus weitergeben. Jeder, der nicht erkrankt, hilft mit, dass das Gesundheitssystem nicht kollabiert.

An dieser Stelle ein kurzer, aber notwendiger Exkurs: Gibt es eigentlich Argumente gegen die Impfung - die man nicht als Aluhut-Schwachsinn abtun?

Das wohl wichtigste ist die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks. Es gibt Menschen, die auf bestimmte Medikamenten-Inhaltsstoffe allergisch reagieren. Bei den RNA-Impfstoffen (Pfizer-BioNTech, Moderna und Curevac) gilt bei Allergieforschern vor allem Polyethylenglykol (PEG) als mögliches Problem. Allerdings: Ein Vorteil von mRNA-Impfstoffen ist, dass das Risiko von Allergie-Schocks geringer ist als bei herkömmlichen Impfstoffen. Und die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks verblasst im Vergleich zur Gefahr einer möglichen Covid-19-Erkrankung.

Zweites Argument: Die Rekordzeit, in der der Impfstoff entwickelt wurde. Gegenargument: Es flossen Unsummen in die Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe, der Faktor Kapital war kein limitierender Faktor. Dieser Kapitaleinsatz erklärt, warum die Impfstoffe in so kurzer Zeit entwickelt werden konnten.

Drittes Argument: Die schnellen Zulassungsverfahren. Gegenargument: Die europäische Arzneimittelbehörde fand sich zwischen Skylla und Charybdis. Die einen verwiesen darauf, dass die Europäer bei der Zulassung langsamer als die USA oder die Briten waren, die anderen befürchteten politischen Druck auf die europäische Arzneimittelagentur EMA, die US-Behörde FDA und die britische Medicines & Healthcare Products Regulatory Agency. Argument dagegen: Diese Behörden setzen ihr höchstes Gut - nämlich ihre Glaubwürdigkeit - aufs Spiel, wenn sie die Zulassung zu leichtfertig vergeben.

Beispiel Testen: Häufiges und engmaschiges Testen ist der Weg, der im Jahr 2021 (neben der Impfung) die Rückkehr zur Normalität ermöglichen wird. Gegen das Testen gibt es keinerlei Argumente - wer es für unzumutbar hält, sich ein Abstrichstäbchen durch die Nase in den Rachen schieben zu lassen, um sich und andere zu schützen, dem ist nicht zu helfen. Dass überhaupt darüber diskutiert werden muss, die Menschen mit Nudging-Maßnahmen wie Freitestesten oder Incentives wie Testprämien in die Teststraßen zu locken, ist ernüchternd. Der Weg vom Ich zum Wir ist noch weit.