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Scheitern nach Zahlen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Lockerungen kommen, obwohl die Infektionsrate weiter zu hoch ist. Das zeigt den Druck der Lage.


Die Regierung wird ab 8. Februar den strengen Lockdown lockern, obwohl die Infektionszahlen dagegensprechen. Wie ein Mantra haben Krisenkommunikationsprofis dieses Landes von der Koalition konkrete Ziele eingefordert, ab denen Lockerungen greifen können. Das würde angeblich die Disziplin der Menschen befördern.

Ende Dezember ließ sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober dazu hinreißen und nannte erstmals konkrete Ziele für Öffnungsschritte: die Sieben-Tages-Inzidenz bis Ende Jänner auf unter 100, den Reproduktionsfaktor auf höchstens 0,8 und, wenn möglich, darunter und die Anzahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen in Richtung 200 zu drücken. Keines dieser Ziele wurde erreicht. Der harte Lockdown hat gewirkt, nur eben nicht genug.

Trotzdem setzt die türkis-grüne Regierung zu ersten Lockerungen ab 8. Februar an. Der Druck dafür ist enorm, nicht nur von der gemäßigten wie radikalisierten Opposition, von Ländern und Wirtschaft. Und sehr, sehr vielen Menschen im Land sowieso.

Den Kipppunkt einer Stimmung kennt man verlässlich immer erst im Nachhinein. So gesehen sind die Proteste einiger tausend wütender Bürger samt amtsbekannter Rechtsextremisten, die sich trotz Verbots am Sonntag auf Wiens Straßen versammelten, quantitativ schwer einzuordnen. Dass es im Land rumort, ist aber zu spüren. Nicht nur in Österreich, quer durch Europa.

Zu sagen, die Regierung gehe mit den Öffnungen ein hohes Risiko ein, ist so richtig wie nichtssagend. Seit Beginn der Pandemie ist jede Entscheidung mit einem hohen Risiko verbunden, man hat es nur manchmal nicht erkannt oder erkennen wollen. Nun bedeutet die Gefahr eine dritte Welle noch im Frühjahr, bevor die Impfung ihre Wirkung entfalten kann. Den harten Lockdown zu verlängern, wäre für die Koalition nicht minder, nur eben anders riskant.

Die kommenden Wochen werden ein Lackmustest für die verbliebene politische Autorität der Regierung: Können ÖVP und Grüne der Bevölkerung vermitteln, dass die Virusgefahr weiter akut ist? Dass die in Kraft bleibenden Maßnahmen nur wirken, wenn sie auch befolgt werden? Dass regelmäßiges Testen für möglichst alle mehr Normalität ermöglicht?

Nach elf Monaten der Pandemie ist das politische Kapital fast jeder Regierung aufgebraucht. Die Einhaltung der Maßnahmen muss deshalb konsequent kontrolliert und geahndet, nicht nur händeringend erbeten werden. Und die Regierung muss klarmachen, dass sie beim Impfen alles in ihrer Macht Stehende tut. Wehe, wenn Österreich den Stoff nicht genau so schnell verimpfen kann, wie er geliefert wird.