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Normalität, kein Privileg

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Der Umgang mit Geschützten wird Politik und Öffentlichkeit noch einiges abverlangen.


Begonnen hat die Debatte über den Umgang mit Covid-Immunen bereits im vergangenen Frühjahr. Damals noch als graue Theorie, zu wenig war über das Coronavirus bekannt, und die Zahl der Geschützten war viel zu gering, zumal es ja noch keine Impfung gab. Jetzt gibt es nicht nur einen, sondern sogar gleich mehrere Impfstoffe, und alle - jedenfalls alle, die in Europa verimpft werden - wirken. Das wird die addierten Zahlen von Genesenen und Geimpften in den kommenden Wochen und Monaten beständig steigen lassen und damit auch die Frage nach geteilten Regeln für Geschützte und Ungeschützte in den Fokus der öffentlichen Debatte rücken. In Israel sind bereits mehr als drei Millionen Menschen von solchen Erleichterungen betroffen. In Österreich nimmt sich nun eine Arbeitsgruppe des heiklen Themas an.

Dass für Geschützte, seien diese nun immun wegen einer vorangegangenen Infizierung oder weil sie bereits geimpft wurden, andere Regeln in einer Pandemie gelten, sollte eigentlich unbestritten sein (jedenfalls solange der Schutz wissenschaftlich belegt und nicht nur eine Vermutung ist). Ist es aber nicht, wie ja auch alles andere, das mit Corona zusammenhängt, höchst umstritten ist (und dabei auch so manche wissenschaftliche Reputation arg beschädigt).

Die Debatte über den künftigen Umgang mit Geschützten wird Politik und Öffentlichkeit noch einiges abverlangen. Das beginnt bei den Begriffen. Wer akzeptiert, dass die Corona-Maßnahmen das neue Normal sind, wird dabei von "Privilegien" für Geschützte sprechen; dabei ist es doch eigentlich so, dass für die Geschützten wieder eine Annäherung an den auch rechtlichen Normalzustand erfolgt, einfach weil die Rechtfertigung besonderer Freiheitsbeschränkungen wegfällt. Mit einem Privileg hat das also nichts zu tun.

Als ungerecht kann allenfalls empfunden werden, dass nicht jede und jeder Impfbereite auch sofort geimpft werden kann, weil dafür der zur Verfügung stehende Impfstoff aktuell nicht ausreicht. Daraus ergibt sich die Pflicht des Staates, alles Erdenkliche zur schnellen Durchimpfung der Bevölkerung zu unternehmen.
Bis dahin müssen die notwendigen Maßnahmen für die Ungeschützten in Kraft bleiben, obwohl zwecks Beschränkung der ohnehin gigantischen Folgeschäden Lockerungen greifen sollten.

Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - tatsächlich leben wir nach Ernst Bloch nicht alle im selben Jetzt - ist deshalb nur für eine kurze Zeit erträglich, jedenfalls politisch und sozial. Welche Regeln am Ende für die Impfverweigerer gelten, werden deren Zahl und die weitere Entwicklung des Virus weisen.