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Rachefeldzug gegen Boris

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Boris Johnsons Charakterfehler werden nun für ihn zum Problem.


Ein "Integritätsvakuum" nannte ein früherer Generalstaatsanwalt den konservativen britischen Premierminister Boris Johnson. Eine interessante Allegorie politischer Physik. Atome politischen Anstands sucht man in Downing Street 10 derzeit in der Tat verzweifelt.

Es geht um "Sleaze", um schmierige Geschäfte, um Korruption. Konkret geht es um Renovierungsarbeiten in Johnsons Privatgemächern in der Downing Street. Es steht im Raum, dass diese von Dritten als "Spende" an Johnson oder dass sie mithilfe einer dubiosen Kreditkonstruktion der Konservativen Partei bezahlt worden sein sollen. Die Rede ist von Steuererleichterungen, die dem Brexit-Befürworter und Staubsaugerhersteller James Dyson zugesagt worden seien für den Fall, dass Mitarbeiter seiner Firma von Singapur nach Großbritannien kämen, um dort Beatmungsgeräte zu bauen. Dyson hatte sich davor in Großbritannien ziemlich unbeliebt gemacht, weil er nach dem Brexit den Sitz seines Unternehmens nach Singapur verlagert hatte.

Jede Woche kommen neue Malversationen ans Licht. Zuletzt tauchten pikante Zitate von Johnson auf. Zum Beispiel soll er gesagt haben, dass sich eher "die Leichen türmen sollen", bevor er einen neuen Lockdown anordnen würde. Der Premier dementiert.

Besonders brisant: Johnson beschuldigt seinen Ex-Berater Dominic Cummings, mit dem Streuen von Interna einen Rachefeldzug gegen ihn zu führen. Gut möglich, dass das stimmt, denn Cummings wurde von Johnson Ende 2020 vor die Tür gesetzt. Und Cummings ist wahrlich kein Mann der feinen Klinge. In der "Vote Leave"-Kampagne, bei der Johnson eine zentrale Figur war, machte Cummings mit blanken Lügen Stimmung für den Brexit. 2019 verhalf er Johnson mit seinem Slogan "Get Brexit done" zum Wahlsieg und war der Navigator des Rechtskurses der Konservativen, mit dem die Tories Nigel Farages Brexit-Partei aufsaugten. Und schließlich war es Cummings, der nach dem Brexit dafür plädierte, Großbritannien solle mit dem Ignorieren bestimmter Passagen des EU-Austrittsabkommens internationales Recht brechen.

Für Johnson kommen die Turbulenzen zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Nach einem verheerenden Start zu Beginn der Corona-Krise konnte er sich zuletzt im Erfolg der Impfkampagne sonnen. Am 6. Mai sind Zwischenwahlen, die Konservativen sind aber zuletzt in den Umfragen 5 Prozentpunkte gefallen und liegen nun mit 40 Prozent nur knapp vor Labour (37 Prozent).

Es war immer absehbar, dass Johnsons Charakterfehler ihm eines Tages zum Verhängnis werden würden. Die kommenden Wochen werden für Johnson schwierig: Cummings Rachefeldzug hat gerade erst begonnen.