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War Europa zu naiv?

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die EU will die Chip-Produktion nach Europa zurückholen.


In den Opel-Werken in Köln und Saarlouis wird die Produktion heruntergefahren. US-Mietwagenfirmen weichen auf den Gebrauchtwagenmarkt aus, weil sie Probleme haben, an günstige Neuwagen heranzukommen. Und bei Volkswagen kann im Werk in Emden das Passat-Modell nicht gebaut werden, ganze Schichten fallen aus.

Der Grund: Es gibt einen Mangel an Computerchips. Aber warum ist das so?

Tablets, Laptops, Mobiltelefone und Webcams wurden in der Pandemie zu Verkaufsschlagern, Werke in Japan und Texas hatten zuletzt Produktionsschwierigkeiten, und nun hat die Autobranche das Nachsehen. Dazu muss man wissen, dass laut Daten der Consultingunternehmen Deloitte Analysis und IHS heute bereits 40 Prozent der Produktionskosten eines Automobils durch die komplexe Elektronik verursacht werden, 2010 lag dieser Wert noch bei 27 Prozent.

Seit Ausbruch der Pandemie ist deutlich geworden, wie fragil die weltumspannenden Fertigungs- und Logistikketten in einer hyperglobalisierten Welt und wie abhängig ganze Branchen von Lieferanten aus Asien geworden sind. Für die Elektronik- und Halbleiterbranche gilt das besonders.

Die USA und die Europäische Union sind nun in einem Wettlauf, Produktionsanlagen zurückzuholen. EU-Industriekommissar Thierry Breton sagte zuletzt gegenüber dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg, Europa sei in den vergangenen Jahrzehnten "zu naiv, zu offen" gewesen. Bis zum Jahr 2030 will die EU die Produktion von Halbleiterchips auf einen Weltmarktanteil von mindestens 20 Prozent steigern. Der Chip-Hersteller Intel mit Sitz in den USA hofft auf 8 Milliarden Euro an Subventionen für einen Produktionsstandort in der EU, heißer Favorit ist Deutschland.

Tatsächlich ist die Konzentration am Chip-Markt äußerst bedenklich: Der Taiwanesische Konzern TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) ist der weltweit größte Chip-Produzent, gefolgt vom koreanischen Konzern Samsung. Wobei alles ein wenig komplizierter ist: Denn TSCM produziert Chips nach den Plänen der verschiedensten Hersteller - darunter Apple, Nvidia, AMD oder Texas Instruments. Und um überhaupt solche Chips produzieren zu können, benötigt man Photolithographie-Anlagen. Da wiederum ist das niederländische Unternehmen ASML Holding mit einem Marktanteil von 80 Prozent ein Quasi-Monopolist.

Die Produktionskette ist also hyperkomplex. Und ein hoher Grad an Komplexität bringt einen hohen Grad an Verwundbarkeit mit sich. Aber was tun? Komplexität reduzieren. Daher ist es nicht zuletzt wegen der in Zukunft zu erwartenden geopolitischen Spannungen in Asien sinnvoll, wenn Europa Produktionskapazitäten für Halbleiter aufbaut.