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Scheitern verboten

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Viele Krisen kann sich Europa nicht mehr leisten, ungenutzt verstreichen zu lassen.


Es steht viel auf dem Spiel, nicht nur für die von der Pandemie gebeutelten EU-Staaten; auch den Institutionen der EU ist klar, dass sie, falls sie erneut die Chance einer großen Krise ungenutzt fahren lassen, möglicherweise das europäische Projekt selbst gefährden. Um all die je nach Land unterschiedlichen und sogar widersprüchlichen Vorbehalte gegen eine vertiefte Integration zu überwinden, muss die EU beweisen, dass es Mitgliedstaaten wie Bürgern mit "Brüssel" besser geht als ohne. Diese "Raison d’Etre" Europas wurde zu Beginn der Impfkampagne ernsthaft herausgefordert, als sich neben Israel ausgerechnet das Ex-Mitglied Großbritannien anschickte, den "Europäern" zu zeigen, wie leistungsfähig der gute alte Nationalstaat sein kann, wenn er seine Kräfte mobilisiert.

Jetzt wartet mit der Umsetzung des rund 800 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds die entscheidende Bewährungsprobe: Gelingt es mithilfe dieses Instruments diesmal, den (insbesondere nach Krisen massiven) Wachstumsrückstand im Vergleich mit den USA in Grenzen zu halten und der gesamteuropäischen Schwungmasse an Marktmacht, Innovationskraft und Produktionsstärke endlich auch konjunkturelle Dynamik zu verschaffen, könnte die EU der Welt und zuvorderst ihren stets zweifelnden Mitgliedern den eigenen Mehrwert mit harten Fakten beweisen.

Dass ihr dies nicht längst gelungen ist, hängt mit der der Union eigenen Ambivalenz zusammen: Zwar wurde mit dem Euro die Voraussetzung geschaffen, vom weltweit größten Binnenmarkt zu profitieren; doch um das Potenzial einer Gemeinschaftswährung voll einzulösen, fehlt nach wie vor eine zumindest koordinierte Finanz- und Investitionspolitik. Erste Schritte dazu gibt es zwar, doch mit dem Wiederaufbaufonds verbindet sich die Hoffnung auf einen Quantensprung - mit den gemeinschaftlich finanzierten Milliarden für Klimaschutz und Digitalisierung als Hebel.

Dass die EU-Kommission weiß, wie groß die Chance - und damit die Gefahr des Scheiterns - ist, zeigt, dass nun sogar der banalen, aber eminent wichtigen handwerklichen Ebene von Politik Beachtung geschenkt wird: Die Freigabe des nationalen Investitionsplans wird nicht einfach nur in Brüssel verkündet, sondern vor Ort und mit den Regierungschefs inszeniert - zur Freude der Fotografen samt Übergabe eines überdimensionierten Plans. Zu diesem strahlte nicht nur der Himmel über Wien, sondern über den Beziehungen zwischen Österreich und "Brüssel" in schönstem Blau. Jetzt muss die EU nur noch verhindern, dass ein substanzieller Teil der Milliarden in dunkle, unnütze Kanäle fließt.