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Der "Süden" im Vorteil

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Neue Möglichkeiten verschwinden nicht mehr. Doch was heißt das für die Eurozone?


Wer nach Anschauungsbeispielen für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen fahndet, wird aktuell schnell fündig: Die Corona-Pandemie ist längst nicht vorbei - in manchen Regionen werden sogar erneut Verschärfungen verhängt -, trotzdem liegt die Beschäftigung in Österreich im Mai erstmals wieder über dem Vorkrisenniveau. Und während in Industrie und Gesundheitsbereich händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, heißt das Problem andernorts Massenarbeitslosigkeit.

Die neue Zeit nach der Pandemie drängt auch an anderen Fronten nach vorn. Damit kehrt auch ein altbekannter und nur vorübergehend ausgesetzter Konflikte zurück: die Frage nach der geldpolitischen Ausrichtung der Eurozone.

Am Montag wurden erste Vorgeplänkel dazu öffentlich ausgetragen. Während die Vertreter einer konservativen Orthodoxie mit Deutschland an der Spitze und Österreich samt anderen nördlichen Staaten im Schlepptau die Ausnahmesituation beenden und die Weichen zurück auf eine stabilitätsorientierte Geldmarktpolitik stellen wollen, sieht die Gegenseite die Gelegenheit gekommen, die Eurozone nach ihren Interessen umzugestalten. Wortführer ist hier Frankreich, das mit Italien unter dem ehemaligen EZB-Präsident Mario Draghi hoch angesehene Verstärkung erhalten hat.

Rein strukturell betrachtet, ist der "Süden" im Vorteil: Es ist stets einfacher, den Status quo zu verteidigen, selbst wenn die Veränderung nur im Zurück zum Status quo ante besteht. Es sei denn, Druck überwindet die Beharrungskräfte.

Die Notfallkäufe der EZB sollen demnach zum neuen Normal werden. In den Worten von EZB-Direktor Fabio Panetta klingt das so: "Wir sollten danach streben, die unkonventionelle Flexibilität zu bewahren, die uns während der Pandemie gute Dienste geleistet hat." Panetta hat nicht einmal unrecht. Das auf 1,85 Billionen Euro angelegte Anleihen-Kaufprogramm ist so gestaltet, dass die EZB gezielt einzelnen Staaten unter die Arme greifen kann. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass einige Staaten diese Hilfe dringend brauchen. Nicht nur jetzt, sondern immer wieder.

Das Problem ist: Politische Anreize, diese Hilfe durch eigene Anstrengungen überflüssig zu machen, werden damit gegen null reduziert, was wiederum über kurz oder lang den Zusammenhalt der Eurozone einem neuen Stresstest unterziehen wird. Bis Sommer 2022 stehen jedoch die Zeichen auf Waffenstillstand: Im Herbst wählt Deutschland, im kommenden Frühjahr Frankreich. Dann wird es erst ernst mit dem Streit um die künftige geldpolitische Ausrichtung Europas.