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Was der Wiener Weg bringt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Sind die Wiener Sonderregeln "absurd" und "unprofessionell" oder doch eher ganz vernünftig?


Erinnert sich noch jemand an die Appelle und Versprechen der regierenden Politik, beim Kampf gegen die Pandemie müsse, wolle und werde man sich an die Empfehlungen der einschlägigen Wissenschaften halten? Oder an die ursprüngliche Rollenverteilung zwischen den Parteien?

Im März und April 2020 war es die Kanzlerpartei ÖVP, die auf Lockdowns drängte, und der grüne Juniorpartner zögerte, ob solche Grundrechtseinschnitte wirklich nötig seien. Inzwischen ist es umgekehrt: Der ÖVP kann es mit Lockerungen nicht schnell genug gehen, während die Grünen es lieber vorsichtig angehen.

Diese Rollenverteilung zeigt sich auch in den Reaktionen auf die Entscheidung der Wiener Stadtregierung, mit Verweis auf die grassierende Delta-Variante das Testregime zu verschärfen: Die türkise Tourismusministerin Elisabeth Köstinger nennt "absurd" und "vollkommen unprofessionell", was der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein "begrüßt". Einmal mehr ist es Bildungsminister Heinz Faßmann - parteifrei, aber vom Habitus wohl am ehesten ein Schwarzer -, der stoisch auf dem Willen zur eigenen Meinung beharrt, indem er den Wiener Weg, der etwa zusätzliche Tests von Kindern vorsieht, ganz vernünftig findet.

Inhaltlich liegen die Verhältnisse klar. Die Öffnungen sind rechtlich geboten und sozial wie wirtschaftlich alternativlos, weil die Inzidenzzahlen nichts anderes zulassen. Die Herausforderung besteht darin, nicht nur die Impfkampagne entschlossen voranzutreiben, sondern auch die Teststrategie zielgenau weiterzuentwickeln. Logischerweise zielt diese auf die noch nicht geimpften Bevölkerungsgruppen, und zwar mit so vielen der genaueren PCR-Tests wie möglich. Beides macht Wien, weshalb der Bund eigentlich den Druck auf die anderen Länder erhöhen müsste, es der Bundeshauptstadt nachzumachen.

Doch das sind lästige Details, während es für die Politik längst wieder um den maximalen Nutzen aus der aktuellen Stimmungslage geht. Für Wien heißt das, mit so gering angezogener Handbremse wie nur möglich loszufahren, um später nicht umso stärker wieder zurückrudern zu müssen. Für die ÖVP geht es um die Gleichsetzung ihrer Politik mit den Öffnungen. Dank der Regionalisierung sind es - abgesehen vom Gesundheitsminister, der am Ende das letzte Wort hat - die Länder, die Verschärfungen verantworten.

Allein die Neos sind aktuell seltsam ruhig: Noch Mitte Juni war ihnen der 1. Juli als Öffnungstermin nicht schnell genug. Jetzt müssen sie als Juniorpartner einer übermächtigen Wiener SPÖ deren Strategie still mittragen.