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Entwöhnung von der Brust des Nanny-Staates

Von Hans Kronspieß

Leitartikel

Die Forderung nach Eigenverantwortung ist nicht per se verkehrt.


Typisch: Kanzler Sebastian Kurz und der britische Premier Boris Johnson sind sich einig. Beide sprechen sich für mehr Eigenverantwortung beim Kampf gegen Corona aus. Typisch! Schließlich sind beide ja kaltherzige Neoliberale, denen die Menschen komplett wurscht sind. Und damit Ende der bitter-ironischen Durchsage.

Ja, man kann das so sehen. Man kann Kurz’ und Johnsons Haltung mit solchen Sätzen, bestehend aus Wortbausteinen einer antikapitalistischen Hobby-Kampfbrigade, vom Tisch wischen. Aber dann macht man sich die Sache vielleicht doch ein wenig zu einfach. Es besteht nämlich die zumindest theoretische Möglichkeit, dass Kurz und Johnson recht haben. Vielleicht ist es doch kein unumstößliches Naturgesetz, dass der Staat sich um alles kümmern muss. Und vielleicht ist das gute alte Subsidiaritätsprinzip der Katholischen Soziallehre doch richtig.

Möglicherweise haben wir uns nämlich in den vergangenen Jahrzehnten durch das Dauersattsaugen an der Brust des Nanny-Staates eine Abhängigkeit angewöhnt, von der eine Entwöhnung für viele Zeitgenossen einfach nicht mehr denkbar ist. Vielleicht finden sich viele Bürger ohne staatliche Fürsorglichkeit tatsächlich nicht mehr im wirklichen Leben zurecht.

Und damit sind nicht nur Parteigänger der politischen Linken gemeint. Es ist ja mittlerweile schon eine fast abgedroschene Feststellung, dass es Sozialisten in allen Parteien gibt.

Vielleicht aber ist Eigenverantwortung den Menschen zumutbar. Man muss ja nicht gleich so viel verlangen wie der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt!" Für hiesige Verhältnisse genügt schon die Forderung: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr selbst für euch tun könnt." Das würde fürs Erste schon reichen.

Zu viele sind es mittlerweile, die Eigenverantwortung nicht aus bösem Willen vermissen lassen, sondern weil sie dazu gar nicht in der Lage sind - ganz einfach, weil sie das nie gelernt haben. Dass dann irgendwann die Haltung "Es ist eh wurscht, kümmert sich eh der Staat" die Oberhand gewinnt, ist menschlich verständlich.

Trotzdem ist Kurz’ und Johnsons Forderung nach Eigenverantwortung in der Pandemiebekämpfung berechtigt. Auch wenn das in der Praxis fürs Erste schlecht funktioniert, weil’s zu viele nicht mehr können. Aber vielleicht sollte man denen ja einfach helfen, dass sie’s lernen. Außer natürlich, man ist ein Verfechter der intellektuellen Haltung "Es ist eh wurscht".