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Wer bietet weniger?

Von Marina Delcheva

Leitartikel
Marina Delcheva ist Leiterin des Ressorts "Wirtschaft" bei der "Wiener Zeitung".

Die EU sollte nicht den nächsten Steuerwettbewerb nach unten eröffnen.


In der Mittagspause eine Runde surfen, nur noch zwei E-Mails und dann ab zum Strand mit den Kindern. Corona hat nicht nur unsere Arbeitsplätze von unseren Betriebsstätten entkoppelt. Dank Digitalisierung und Homeoffice müssen viele von uns nicht einmal in dem Land leben, in dem sie eigentlich arbeiten. Im Vorjahr hat die Zahl der sogenannten digitalen Nomaden zugenommen. Lockdown am Meer ist eben schöner als Lockdown in der Stadt. Und immer mehr EU-Staaten buhlen mit üppigen Steuerzuckerln um die wachsende Gruppe dieser relativ hoch qualifizierten, relativ gut verdienenden Fachkräfte, die für ihre Arbeit nur einen Laptop und High-Speed-Internet brauchen.

Wer seinen Steuersitz zum Beispiel für mindestens zwei Jahre nach Griechenland verlegt, zahlt höchstens 22 Prozent Einkommenssteuer. Wer in Kroatien arbeiten möchte, bekommt ein digitales Nomadenvisum für die gesamte EU und zahlt vor Ort überhaupt keine Steuern. Italien, Spanien, Estland, Tschechien: Immer mehr EU-Länder werben mit steuerlichen oder bürokratischen Erleichterungen.

Von dieser Entwicklung profitieren übrigens die osteuropäischen Staaten besonders. Nach dem massiven "Brain Drain" der vergangenen 30 Jahre findet derzeit wieder ein "Brain Gain" statt. Qualifizierte Arbeitskräfte, die wegen der höheren Löhne nach Österreich und Deutschland ausgewandert waren, sind teilweise in der Pandemie ins Homeoffice nach Hause zurückgekehrt und arbeiten aus Prag, Budapest, Belgrad oder Sofia für heimische Firmen. Viele von ihnen werden dort bleiben, der Osten ist mittlerweile besser als sein Ruf.

Die Digitalisierung hat vieles unumkehrbar gemacht. Es muss möglich sein, zumindest innerhalb der EU von überall arbeiten zu können. Und das ohne eine Vielzahl an bürokratischen und steuerlichen Hürden. Sonst hat Österreich als Hochsteuerland, das auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist, schlechte Karten.

In der Debatte drängen sich aber zwei Fragen auf: Die internationale Staatengemeinschaft ringt gerade um eine globale Mindeststeuer für Großkonzerne, nachdem jahrzehntelang Milliarden in Steueroasen versickert sind. Ist es da wirklich sinnvoll, die Spitzenkräfte jener Unternehmen, die man zur Kasse bitten möchte, mit Steuerdeals zu locken? Die EU sollte gerade jetzt keinen neuen Steuerwettbewerb nach unten auch noch um Fachkräfte eröffnen. Und in Zeiten leerer Staatskassen, einer Klimakrise, überlasteter Gesundheitssysteme und massiver Bildungslücken in weiten Teilen der Bevölkerung sollte man nicht ausgerechnet jene aus der Steuerpflicht entlassen, die zumindest finanziell unbeschadet durch die Pandemie gekommen sind.