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Reich und hilflos

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Die EU zahlt einen hohen Preis für ihre geostrategische Impotenz. Und kein Wille zur Veränderung.


Deutlich wie selten ist den Europäern in Afghanistan ihre Hilflosigkeit vor Augen geführt worden. Nicht einmal für eine kurzfristige Alternative zum schnellstmöglichen US-Abzug reichte der Einfluss der europäischen Nato-Staaten. Die Europäer wollten, aber sie konnten nicht. Ohne die USA ist der reichste und größte Wirtschaftsraum der Welt nicht in der Lage, einige tausend Soldaten über 5.000 Kilometer Luftlinie zu entsenden und zu versorgen.

In keinem anderen Politikbereich würde diese Impotenz toleriert, aber weil es "nur" um geostrategischen Militär-Ressourcen geht, hält die politische Elite diesen Mangel für vertretbar. Irgendwie sicher, aber die Folgen werden gerade täglich über Stunden im TV übertragen.

Die politischen Auswahlmechanismen für Menschen, die es bis ganz an die Spitze schaffen, bevorzugen gewiefte Taktiker mit viel Sitzfleisch, die fast ausschließlich über die nationale Karriereleiter den Weg nach oben suchen. Ein scharfer Blick auf und Kenntnisse der geostrategischen Zusammenhänge sind dabei eher keine Voraussetzung. Nach dem Austritt der Briten ist Frankreich das letzte EU-Mitglied mit einem gewachsenen Gedächtnis für Politik nach diesen Kategorien. Mittlerweile bringt zwar auch das EU-Parlament das eine oder andere Talent hervor, allerdings ist dessen 705 Mitgliedern der Machtwettlauf mit Kommission und Rat um das letzte Wort in EU-Angelegenheiten meist wichtiger als die Formulierung einer kohärenten strategischen Politik für die Union.

Dabei verfügen die EU und etliche Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, durchaus über Fachexpertise in diesem Bereich. Nur nicht dort, wo es darauf ankommt: in den politischen Ebenen, wo die Entscheidungen getroffen werden. Dort hält man die Überzeugung, dass jeder Euro, der nicht in die strategischen Militärkapazitäten geht, dafür in die Lieblingsprojekte der anwesenden Politiker fließen kann, für die ultimative Form von professioneller Gewitztheit und vernünftiger Prioritätensetzung.

Wird die nun in Afghanistan vor der Weltöffentlichkeit und den eigenen Bürgern präsentierte Hilflosigkeit der Europäer Veränderung bewirken? In Sonntagsreden und dicken Analysen des Desasters mit Sicherheit, auch an aufrüttelnden Interviews des einen oder anderen Politikers wird es nicht mangeln. Taten werden jedoch auf sich warten lassen, solange die meisten Bürger eine sehr, sehr ähnliche Vorstellung von Gewitztheit haben wie die meisten Politiker selbst. Also wohl noch ziemlich lange. Die Kosten für diese Prioritätensetzung werden größer.