Zum Hauptinhalt springen

Recht wichtig

Von Daniel Bischof

Leitartikel
Daniel Bischof ist Innenpolitik-Redakteur bei der "Wiener Zeitung".

Grundrechte sind keine Zuckerl, die der Staat den Bürgern nach Lust und Laune wegnehmen kann.


Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die 1G-Regel in Österreich eingeführt wird. Unklar ist eher, auf welche Bereiche sie sich erstrecken wird. Manchem Politiker kann es gar nicht weit genug gehen: Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) etwa fordert die 1G-Regel auch für die Gastronomie. Bedenklich ist, dass die Debatte in grundrechtlicher Hinsicht mittlerweile mit einer gewissen Lethargie geführt wird. Die Politik hat sich daran gewöhnt, Einschränkungen zu verordnen, und die Bevölkerung nimmt die Eingriffe offenbar relativ gelassen hin.
Die Diskurse werden von epidemiologischen Fragen dominiert, rechtliche Probleme werden außerhalb von Juristenkreisen vergleichsweise wenig erörtert. Angesichts der zu befürchtenden vierten Corona-Welle im Herbst ist das teilweise auch verständlich. Niemand will noch einen Lockdown. Da kann schon überlegt werden, wie die Impfquote noch rechtzeitig gesteigert werden kann.

Sollte in all den Debatten aber nicht gefragt werden: In welche Grundrechte greift die 1G-Regel ein? Welche Eingriffe sind verhältnismäßig, welche nicht? Und vor allem: Welche Differenzierungen zwischen Geimpften und Genesenen sind zulässig? Das wäre gerade aufgrund vergangener Fehler in der Pandemie nötig. Bisherigen Corona-Regeln hat es oft schon an Klarheit und ausreichenden Begründungen gemangelt. Das haben die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und des Verfassungsgerichtshofes zuhauf gezeigt.

Für Politiker sollte es keine Selbstverständlichkeit sein, sich als Feudalherren zu gebärden, die lapidar Einschränkungen erlassen können. Was sich die Regierenden in der Corona-Krise angewöhnen, könnte sich auf viele Jahre hinaus darauf auswirken, wie sie Eingriffe in die Grundrechte bewerten. Es darf nicht vergessen werden: Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie sind keine Zuckerl, die der Staat seinen Bürgern nach Lust und Laune wegnehmen kann. Daher müssen Einschränkungen von Politikern öffentlich diskutiert und rechtlich gerechtfertigt werden.

Die derzeitige Lethargie ist auch realpolitisch problematisch. Durch die mangelnde Sensibilität für Grundrechte wird auch den Corona-Fundamentalkritikern das Feld überlassen. Die FPÖ präsentiert sich neuerdings als die Grundrechtepartei und als Sammelbecken für Impfverweigerer. Quasi jede erdenkliche Maßnahme wird von den Blauen abgelehnt. Ob es klug ist, dieser Partei allein die rechtliche Deutung in der Öffentlichkeit zu überlassen, ist fraglich.