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Vorwand Wahlbetrug

Von Martyna Czarnowska

Leitartikel

Beim Streit um die Briefwahl geht es nicht um Demokratie.


Wählen im Vorbeifahren? Drive-in kennen die meisten Europäer von Schnellrestaurants oder vielleicht Corona-Teststraßen. Doch während der Covid-Pandemie wurde in einigen Ländern auch noch eine andere Tätigkeit aus dem Auto heraus diskutiert: die Stimmabgabe bei Urnengängen. In Texas wird diese Möglichkeit nun verworfen: Künftig ist eine Drive-in-Wahl verboten.

Der US-Bundesstaat ist einer von mehreren republikanisch geführten Staaten, die in den vergangenen Monaten umstrittene Wahlrechtsreformen vorangetrieben oder bereits verabschiedet haben. Der Zwist resultiert unter anderem daraus, dass die Demokraten in den Neuregelungen einen Versuch orten, Afroamerikanern und anderen Minderheiten die Teilnahme an Urnengängen zu erschweren. Diese Gruppen stimmen aber tendenziell eher für die Demokraten denn die Republikaner.

Das bildet auch den Hintergrund für das heftige Tauziehen um die Briefwahl beim Votum über den US-Präsidenten im Vorjahr. Und auch dafür, dass die Vorschriften für diese Briefwahl nun in Texas - wie in einigen anderen Bundesstaaten - verschärft werden.

Denn die Vorwürfe rund um Fehleranfälligkeit und Fälschung, die der damalige Amtsinhaber Donald Trump erhoben hat, konnte weder er nachweisen noch werden die Einwände von den meisten Experten geteilt. Zwar kann es bedenklich sein, dass Stimmzettel gezählt werden dürfen, die auch noch Tage nach dem Wahltermin eintreffen - wie es in Pennsylvania und North Carolina der Fall war. Ebenso mag es vorkommen, dass ein Votum verschoben wird, weil der Kleber an den Briefumschlägen schadhaft war - wie in Österreich. Doch ist das noch kein Wahlbetrug.

Mit umgekehrten Vorzeichen wurde die Debatte im Vorjahr vor der Präsidentenwahl in Polen geführt. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) hat damals die Briefwahl forciert, weil sie sich davon einen Vorteil für ihren Favoriten, Amtsinhaber Andrzej Duda, erhofft hatte. Dabei hatten die Polen - bis auf wenige Ausnahmen - bis dahin gar nicht die Möglichkeit, ihre Stimmen per Post abzugeben. PiS selbst hatte zuvor jahrelang die Einführung der Briefwahl abgelehnt, nicht zuletzt mit dem Hinweis darauf, dass solch eine Art des Votums Wahlfälschungen erleichtere. Stichhaltige Beweise wurden aber auch da nicht geliefert.

Was beiden Fällen gemein ist, ist, dass es den Protagonisten nicht so sehr um eine Verbesserung des Wahlrechts ging. Vielmehr sollten bestimmte Prozeduren für den eigenen politischen Erfolg geschaffen - oder bestehende für den eigenen politischen Misserfolg verantwortlich gemacht werden. Eine Stärkung demokratischer Prinzipien war nicht das Leitmotiv.