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Die größte Gefahr

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Fatalismus ist jetzt, wo Staaten reihum in den Lockdown stolpern, der gefährlichste Gegner.


"Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen", schreibt der Philosoph Albert Camus 1942 in seinem Essay "Der Mythos des Sisyphos". Im nasskalten November 2021 gelangen wir zur Erkenntnis, dass der Kampf gegen ein Virus mehr als nur ein Menschenherz zu brechen imstande ist.

Camus deutet die Tragödie des Sisyphos, dieser vielleicht modernsten Figur des griechischen Mythen-Kosmos, der verurteilt ist, auf ewig einen Stein den Berg hinaufzurollen, um und erklärt ihn zum glücklichen Menschen, weil er seinem Schicksal eine beschränkte Freiheit abzutrotzen vermag: Es ist schließlich sein Fels, den er immer wieder nach oben wälzt. Das macht ihn, jedenfalls ein klein wenig und ungeachtet der Aussichtslosigkeit des Unterfangens, zu seinem eigenen Herrn.

Auf die Idee, dass uns der Kampf gegen das unberechenbare Coronavirus zu glücklichen Menschen gemacht hätte, sind bisher allenfalls verquere Geister gekommen. Stattdessen werden ganze Gesellschaften, ihre Eliten wie Bürger, durch die Rückschläge und augenscheinliche Ausweglosigkeit zermürbt.

Nicht einmal aus dem Versagen, so scheint es, lässt sich noch Trost oder wenigstens Erkenntnis ziehen: Was nützt die Wut, die Frustration über das orientierungslose Krisenmanagement der Verantwortungsträger, wenn auch ein viel besseres, zielgerichteteres wenig mehr als einige Wochen Zeitvorsprung verspricht?

Am Freitag hat das allseits für seine Impfrate gelobte Portugal einen Teil-Lockdown zum Jahresanfang angekündigt; Deutschland steht vor massiven Beschränkungen; Israel, das wegen seiner Booster-Impfung gegen die vierte Welle Vorbild war, sieht sich erneut vor dem Notstand. Der hiesige Lockdown, vor einer Woche noch von den meisten Kritikern als vermeidbar betrachtet, erscheint zunehmend als Schicksal, das auch mit konsequenterem Handeln kaum zu verhindern gewesen wäre. Darin liegt jetzt die größte Gefahr: Dass alle Maßnahmen vergeblich scheinen, dass wir uns der übermächtigen Dynamik des Virus ergeben. Nicht länger, wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder die FPÖ, die aus Opportunitätsgründen die Pandemie kleinreden, sondern aus Ohnmacht, weil eh nichts wirklich zu wirken scheint. Die neue, potenziell brandgefährliche Variante aus Südafrika droht diese Erzählung zu krönen.

Gegen diesen Fatalismus gilt es anzukämpfen. Unsere Gesellschaften verfügen über die Mittel und Wege, allen voran die Impfung, Sars-CoV-2 zu bändigen. Nur dauert es sehr viel länger, als uns versprochen wurde, als wir selbst es erhofft haben. Der daraus resultierende Frust ist unser größter Gegner geworden.