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Die Grenzen des Neuen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Der neue Kanzler wird Österreichs Politik nicht grundsätzlich verändern.


Der neue Kanzler hat seine erste Arbeitswoche hinter sich, und es stellt sich die Frage, welche Folgen der Totalumbau der ÖVP und ihres Regierungsteams haben wird. Das Bedürfnis nach Einordnung wird ja nicht kleiner, nur weil sich die Ereignisse mittlerweile regelmäßig überstürzen. Eher im Gegenteil: Die aufgeregte Fahndung nach jeder neuen Nuance in jedem noch so kleinen Auftritt verdeckt oft mehr, als sie zu enthüllen vermag.

So gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wechsel von Sebastian Kurz zu Karl Nehammer die innenpolitischen Verhältnisse grundlegend verändert, eher gering. (Absolute, die Zukunft betreffende Aussagen sind eine grassierende Unsitte, die den Journalismus selten und die Politik noch nie besser gemacht haben.) Anders formuliert: Eine erhöhe Instabilität wird Österreich weiter treu begleiten, weil diese weniger mit den Personen und mehr mit den grundsätzlichen Gegebenheiten zu tun hat.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Wahlergebnis von 2019, das zur Bildung der türkis-grünen Koalition geführt und die Kurz-ÖVP mit 37,5 Prozent der Stimmenanteile mit großem Abstand (16 Prozentpunkte vor der zweitplatzierten SPÖ!) machtpolitisch weit über die Konkurrenz gestellt hat. Nach Kurz’ Sturz rangiert die ÖVP in mehreren Umfragen nur noch rund um 24 Prozent und auf Platz zwei hinter der Sozialdemokratie.

Ein solcher Bruch zwischen der in Nationalratssitze gegossenen Vergangenheit und der demoskopisch erhobenen politischen Realität ist kein Fundament für anhaltende Stabilität, weil es die einen um die Macht bangen lässt und die anderen - auch, womöglich sogar vor allem den Koalitionspartner - zu immer höher wachsenden politischen Begehrlichkeiten verführt. Diese Dynamik einer sich massiv verschiebenden Machtbalance kann durch ein funktionierendes persönliches Verhältnis an der Koalitionsspitze zwischen Nehammer und seinem grünen Vize Werner Kogler allenfalls moderiert, aber nicht ungeschehen gemacht werden.

Trotzdem soll der Versuch eines neuen Tons (mehr ist es noch nicht), der mit der Ernennung Nehammers eingezogen ist, nicht kleingeredet werden. Wie die politischen Spitzen der Republik miteinander vor und abseits der Kameras umgehen, hat eine zivilisierende Vorbildwirkung. Ein neuer Stil allein wäre in dieser Hinsicht ein großer Schritt.

Viel mehr wird kaum möglich sein. Die außerordentliche emotionale Aggressivität hat längst andere, ergiebigere Quellen für gesprächsunwillige Intoleranz. Und ehrlicherweise gibt es nichts bis sehr wenig, was die hiesige Politik abseits von Stilfragen dagegen zu tun imstande wäre.