Zum Hauptinhalt springen

Gedenken statt Schwurbeln

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Ein Lichtermeer zum Gedenken an die vielen Covid-Opfer.


Die Straße gehört denen, die sie sie sich erobern.

Zuletzt waren es die Impf- und Maßnahmengegner, die regelmäßig an den Wochenenden durch die Innenstädte zogen. Rechtsextremisten, Schwurbler, Neonazis, Hooligans, Esoterik-Okkultisten und - ja, die gab es auch - besorgte Bürgerinnen und Bürger protestierten Schulter an Schulter gegen die Covid-Impfung und die Corona-Maßnahmen.

Diese Demonstrationen waren für die Mehrheit der Bevölkerung, die sich an die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus hält, für jene, die sich ihre Impfung holten, die weiterhin regelmäßig testen gehen und auf den korrekten Sitz ihrer FFP2-Maske achten, ein echtes Ärgernis. Wie, wenn nicht als pure, fleischgewordene, Provokation, soll man Impfgegner, die mit dem Judenstern auf der Brust herumlaufen und sich zum Opfer eines neuen Holocaust stilisieren oder verkünden, dass Österreich eine Diktatur wäre, auch sonst verstehen?

An diesem Wochenende will nun die Zivilgesellschaft der Mitte ein nachdenkliches und versöhnliches Zeichen setzen: Das war höchst an der Zeit. Denn man konnte zuletzt den Eindruck gewinnen, die Straße gehörte den Corona-Schwurblern.

Am Sonntag um 19 Uhr soll also nun eine Lichterkette auf der Wiener Ringstraße aufleuchten und an die bisher mehr als 13.000 an oder mit Covid-19 verstorbenen Menschen in Österreich erinnern. Die Organisatoren dieses #YesWeCare-Lichtermeers betonen, ihre Veranstaltung sei keine Gegendemonstration zu dem, was an den Samstagen zuletzt auf Wiens Straßen passiert ist; es sei auch keine Pro-Impf-Kundgebung, sondern eine möglichst breite Allianz der Gutwilligen. Der Ton der Organisatoren ist betont versöhnlich; sie wollen daran erinnern, dass der Kampf gegen das Virus ein Teamsport ist, der nur gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen.

Aber wie es so ist, wenn Menschen gemeinsam aktiv werden, wird im Vorfeld leidenschaftlich diskutiert: Ist es angesichts des Anrollens der Omikron-Welle überhaupt klug, auf der Ringstraße zusammenzukommen? Was, wenn weniger Menschen kommen als zuletzt bei den Protesten der Impfgegner? Und was, wenn das Lichtermeer zur Zielscheibe gewaltbereiter Impfgegner werden und es zu Zusammenstößen kommen sollte? Solche Fragen werden auf dem Kurznachrichtendienst Twitter leidenschaftlich debattiert.

Mit dem Ergebnis, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit FFP2-Maske und geimpft oder genesen und dazu - wenn möglich - getestet kommen wollen.

Die Straße gehört denen, die sie sich erobern: Und das tun nun auch die Nachdenklichen und Moderaten und entfachen dort ihr Lichtermeer.