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Der eigentliche Feind

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Drohungen irgendwie zur Politik gehören.


An einige Dinge gewöhnt man sich leichter, Ministerrücktritte etwa; bei anderen fällt es schon schwerer, Neuwahlen zum Beispiel. Und dann gibt es noch eine dritte Kategorie von Ereignissen, bei denen sich Kopf und Bauch mit allen Mitteln gegen jeden Gewöhnungseffekt wehren.

In der Nacherzählung vom Rücktritt Wolfgang Mücksteins war viel von der unglücklichen Figur die Rede, die der Pandemie-
Minister oft, zu oft, öffentlich abgegeben hatte. Zu Recht. Vergleichsweise nur am Rande wurde dagegen ein Argument erwähnt, das Mückstein selbst vorgebracht hatte: Wenn man das Haus nur noch unter Polizeischutz verlassen könne, weil es fast tägliche Drohungen gegen sich und seine Familie gebe, so der Minister bei seinem Abschied, dann halte man das nicht lange aus.

Es gab einmal eine Zeit, und die ist noch gar nicht so lange her, da zeichnete sich Österreich dadurch aus, dass das politische Spitzenpersonal auch abseits des Rampenlichts ein halbwegs normales Privatleben führen konnte. Ein Spaziergang durch die Innenstadt, ein Abendessen mit Freunden oder Familie, der Besuch eines Konzerts oder Fußballspiels: All das und noch einiges mehr war für Präsidenten, Kanzler, Minister oder Parteichefs weitgehend problemlos möglich, selbst wenn der eine oder die andere in der öffentlichen Arena polarisierte, sei es mit Absicht oder ohne.

Die Veränderung begann, wie so oft, schleichend; und weil es zuerst die FPÖ traf, hatten nicht wenige das Gefühl, dass die selbst nicht ganz unschuldig daran waren. Immerhin hielten mit Jörg Haider eine bisher unbekannte Aggression und der Aufbau von Feindbildern in der politischen Sprache Einzug, und man erntet bekanntlich, was man sät (die rot-schwarze Kampfrhetorik nach 1945 wird heute gern verdrängt). Doch bei Drohungen und Bedrohungen gibt es nichts zu relativieren, egal, wie scharf ein Politiker oder eine Partei im Rahmen der Gesetze formuliert, egal, wie stark er oder sie polarisiert. Jede Androhung von Gewalt überschreitet eine Grenze, die nicht überschritten werden darf.

Dieser Ansicht wird niemand laut widersprechen. Doch das ist zu wenig. Es geht darum, dass jeder und jede dagegen aufsteht, wenn mit dieser Grenzüberschreitung auch nur geliebäugelt wird, sei es auf Plakaten bei Demonstrationen oder in Postings in den digitalen Hetzräumen. Und zwar auch und sogar vor allem, wenn es nicht die eigene Gesinnung, sondern den politischen Gegner betrifft. Weil bei denen kann es ja doch keinen ganz Falschen treffen, jedenfalls irgendwie halt. Genau dieser kleine Gedanke weit hinten im menschlichen Stammhirn ist der eigentliche Feind.