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Ein Satz und seine Folgen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Weil sich eine Flüchtlingskrise wie 2015 nicht wiederholen durfte, hat sich auch niemand darauf vorbereitet.


Österreich wird nach Ansicht der zuständigen EU-Kommissarin jenes Land sein, das nach Polen am stärksten von Flüchtenden aus der Ukraine betroffen ist. Auf den weiteren Plätzen folgen Zypern, Tschechien und Estland. Verantwortlich für dieses Ranking ist ein Index aus bereits im Land befindlichen Flüchtlingen, den jüngsten Asylzahlen sowie der absoluten Bevölkerungsgröße.

Österreichs exponierte Stelle sollte nicht überraschen. Bei jeder anderen Flüchtlingskrise im Umfeld der EU gäbe es ein ähnliches Ergebnis. Überraschend ist allein der konkrete Anlass: Den Krieg in der Ukraine hatten die wenigsten auf der Rechnung, obwohl auch dieser nicht vom Himmel gefallen ist. Aber hinterher ist es immer leicht, schlau zu sein.

Überraschen kann deshalb auch nicht das Ausmaß unterlassener Vorbereitung. Schließlich kann nicht sein, was nicht sein darf. Der Satz, vorgetragen von allen Regierungschefs Europas von Angela Merkel abwärts, wonach sich die Flüchtlingskrise von 2015/2016 "nicht wiederholen darf", war als politische Absichtserklärung richtig oder zumindest zulässig, um einen neuerlichen staatlichen Kontrollverlust um jeden Preis zu verhindern.

Richtig verstanden hätte diese politische Forderung dazu führen müssen, dass sich der Staat auf all seinen Ebenen professionell auf künftige Flüchtlingskrisen vorbereitet, Schnittstellen, Kompetenzen, Abläufe und Entscheidungsprozesse festlegt. Tatsächlich jedoch wurde der Satz, dass sich "das nicht wiederholen darf", als Ersatz für politisches Handeln missbraucht. Als rein rhetorisches Sedativum für eine verunsicherte, von der Politik und deren angeschlossenen Kohorten emotional dauerbearbeitete Bevölkerung.

Dass die bisher angekommenen Flüchtlinge trotzdem versorgt werden, ist dem Engagement professioneller wie semi-professioneller Hilfsorganisationen und einer beeindruckenden Welle an Hilfsbereitschaft von Bürgern und Unternehmen zu verdanken. Immerhin hat die Politik diese Hilfe nicht frustriert, sondern ermutigt, indem sie unter dem Schock des Krieges in der unmittelbaren Nachbarschaft instinktiv auf Empathie gesetzt hat und weiter setzt.

Glücklich der Staat, der auf solchen Fundamenten ruht und nicht von Politik und Verwaltung alleine abhängt. Kein Staat kann (und soll) ohne das Engagement seiner Gesellschaft funktionieren, in Krisen schon gar nicht. Im Gegenzug haben Verwaltung und Politik die Pflicht, sich vorausschauend und seriös auf mögliche Notfälle vorzubereiten; und dies selbst dann, wenn es nicht in die gängige Erzählung passt.