Amtsinhaber Emmanuel Macron hat die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen mit 28,5 Prozent der Stimmen gewonnen; er bleibt damit der Favorit für die Stichwahl in zwei Wochen. Aber Marine Le Pens Chancen, nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste Rechtspopulistin im Élysée-Palast, dem Amtssitz des französischen Staatspräsidenten, zu werden, waren noch nie besser.

Walter Hämmerle. 
- © Luiza Puiu

Walter Hämmerle.

- © Luiza Puiu

Laut Hochrechnungen kamen die Kandidaten der extremen Rechten und Linken in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen auf zusammen rund 51 Prozent: 24 Prozent für Le Pen, 20 Prozent für den Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon, 7 Prozent für den ehemaligen TV-Journalisten Eric Zemmour, der Le Pen in diesem Wahlkampf rechts überholte. Die beiden Kandidaten der ehemaligen Traditionsparteien erlebten ein demütigendes Debakel.

Der britische "Economist", das Leib- und Magenblatt des liberalen Internationalismus und unzweideutig pro Macron, formulierte es vor der Wahl in bewundernswerter Deutlichkeit so: Fünf Jahre einer Regierung durch den globalen Bannerträger des liberalen Zentrismus haben die Unterstützung für den liberalen Zentrismus schrumpfen lassen.

Das ist eine ernüchternde Feststellung. Es stellt sich die Frage, ob diese Bilanz an der Person Macrons liegt oder als Fundamentalkritik der Möglichkeiten und des politischen Selbstverständnisses eines liberalen Zentrismus gelesen werden soll, gelesen werden muss. Möglicherweise, und das ist die optimistische Interpretation, stimmt beides ein bisschen.

Am 24. April steht also die Neuauflage der Stichwahl von 2017 an: Vor fünf Jahren gelang es Macron, die Kräfte der rechten und linken Mitte hinter sich zu vereinen; Macron siegte mit 66 Prozent, doch diese Mehrheit war der Verhinderung seiner Gegnerin geschuldet, nicht der Wahl seiner Person oder Politik. Es war also im Kern ein negatives Votum.

2022 hofft Macron zweifellos, mit Hilfe der gleichen Logik zu seinen Gunsten die Wiederwahl zu schaffen. Aus heutiger Sicht ist das noch immer möglich, sogar wahrscheinlich. Doch so selbstverständlich und deutlich wie 2017 wird sich diese breite Koalition nicht mehr hinter Macron versammeln.

Ein Ein-Mann-Bollwerk des politischen Mainstreams ohne breite Bewegung, die Person wie Programm auch über die Hauptstadt hinaus in die Regionen trägt, ist ein denkbar schwaches Bollwerk gegen den Sturm all jener, die überzeugt sind, sie hätten ein Recht, sich wütend, enttäuscht und abgehängt zu fühlen.

Frankreich hat ein Problem – und damit auch ganz Europa, und dies längst nicht erst seit diesem Sonntag, und es wird nach dem 24. April auch nicht verschwinden. Wie immer stellen sich sehr viel mehr Fragen als dass es Antworten gibt.