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Die Zeit wird knapp

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Das Elend der Partei könnte den Kanzler stärken. Aber nur, wenn er die Chance zum Regieren nutzt.


Auch das ist ein Gesicht der neuen Normalität: Mit Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck, beide ÖVP, ereigneten sich am Montag der 13. und 14. Wechsel im insgesamt 17 Mitglieder umfassenden türkis-grünen Regierungsteam. Und das nach nicht einmal zwei Jahren und vier Monaten nach der Angelobung.

Jeder dieser Abgänge hat eine eigene Geschichte. Sebastian Kurz musste gehen, ansonsten hätten die Grünen angesichts der Ermittlungen die Koalition gesprengt; ohne Kurz sah Finanzminister Gernot Blümel, wie jetzt Köstinger, für sich keine Zukunft in der Politik; Rudolf Anschober wie Wolfgang Mückstein wurden vom Virus überwältigt, politisch wie körperlich; Arbeitsministerin Christine Aschbacher stolperte über ihren akademischen Ehrgeiz; Bildungsminister Heinz Faßmann wurde fehlendes Steirerblut zum Verhängnis . . .

Doch die Konzentration auf die Einzelfälle verstellt den Blick auf tieferliegende Ursachen für dieses Ausmaß an politischer Instabilität - wie sonst sollte man den permanenten Wechsel in den wichtigsten Jobs der Republik bezeichnen, zumal auch SPÖ und FPÖ nicht durch interne Stabilität glänzten?

Möglich macht dieses wilde Personalkarussell die Erosion der etablierten Machtzentren quer durch die Republik. Die einst hyperstabilen und zuletzt sehr wohl verknöcherten Strukturen der Zweiten Republik sind passé, ein neues stabiles Netzwerk der Macht- und Interessenverhältnisse lässt auf sich warten. Das Konzept, gewachsene Machtstrukturen durch persönliche Loyalitätsabhängigkeiten zu ersetzen, kann als gescheitert betrachtet werden; detto die notwendige Erneuerung der Republik in vielen Bereichen.

Karl Nehammer, der Bundeskanzler, der am Samstag nun auch formal zum ÖVP-Obmann gewählt wird, kann an all dem nichts Grundlegendes verändern. Dazu fehlt ihm nicht nur das persönliche politische Mandat, sondern auch die faktische Macht. Wozu Nehammer jedoch die Möglichkeit und eigentlich Pflicht hat, ist, sein Ministerteam personell und inhaltlich so aufzustellen, dass sich die Regierung nicht länger mit Spekulationen über vermutete Abgänge, sondern mit den zahllosen drängenden Problemen des Landes beschäftigen kann.

Paradoxerweise stärkt in diesem Moment das Elend der Partei die Person Nehammers. Er ist das beste, weil letzte Pferd im Stall der ÖVP, um den Absturz nach der Ära Kurz möglichst gering zu halten. Aber lässt man ihn, und kann er es? Es wird sich schnell zeigen, was beide Seiten aus dieser Konstellation machen werden. Die Zeit wird knapp und immer knapper.