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Eine echte Zäsur

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Wenn Politik in Superlativen spricht, ist Skepsis angebracht. Die der Entschärfung der kalten Progression ist in der Tat historisch.


Wenn Regierungen von historischen Weichenstellungen und in Superlativen sprechen, ist Skepsis geboten. Schließlich gibt es nicht nur eine Inflation der Werte, sondern auch eine der Worte. Dem können sich in der Regel auch die Medien nur selten entziehen. Umso schwerer ist es für die Bürgerinnen und Bürger, eine echte Zäsur von einer bloß vorgetäuschten zu unterscheiden.

Am Dienstag hat die türkis-grüne Bundesregierung tatsächlich eine historische Weichenstellung präsentiert. Die weitgehende Entschärfung der kalten Progression ist ein Meilenstein, weniger wegen der finanziellen Dimensionen (die dennoch erheblich sind) als vielmehr in Bezug auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern: Für einmal gibt der Staat, und das ist selten genug, Macht, also finanzielle Verfügungsgewalt, ab. Im Regelfall ist es umgekehrt, auch wenn damit, meist jedenfalls, beste Absichten verbunden sind.

Dass künftig die automatische Steuererhöhung durch die Inflation über eine jährliche Anpassung der Grenzwerte zu zwei Dritteln aufgefangen wird - ein weiteres Drittel soll via Umverteilung an die Steuerzahler zurückfließen -, beraubt künftige Regierungen ihres bisherigen Körberlgeldes.

Bisher war es so, dass die aufgrund der kalten Progression fließenden Mehreinnahmen jede Koalition mit einer sich selbst befüllenden Handkassa für neue Ausgaben und großzügig inszenierte Steuerreformen ausstatteten. Setzen ÖVP und Grüne nun um, was sie verkündet haben, erhöht sich für die Zukunft der Druck zu ausgabenseitiger Budgetdisziplin erheblich. Im besten Fall entsteht daraus eine neue Logik politischer Gestaltung, die darauf abzielt, vorhandene Effizienzpotenziale im staatlichen Gebaren zu identifizieren und zu heben. Immerhin soll die künftige Valorisierung der Steuerleistung bei den Betroffenen die Nachfrage nach ständig steigenden Zuwendungen verringern.

Die Anforderungen an die Politik werden auch deshalb steigen, weil nicht alle von der Abschaffung der kalten Progression profitieren. Ein Staat, der auf sozialen Ausgleich Wert legt, muss Wege finden, die dafür nötigen Mittel bereitzustellen. Man kann davon ausgehen, dass die Debatte um weitere strukturelle Steuerreformen und gezielte Mehrbelastungen nicht beendet ist, sondern im Gegenteil erst aufgrund der nun erfolgten Zäsur richtig Fahrt aufnimmt.

Was bleibt, ist die Ironie, dass eine aus internen und externen Gründen mit dem Rücken zur Wand stehende Regierung sich gezwungen sah, ihr Heil in einem erstaunlichen Kraftakt zu finden.