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Später Besuch in Kiew

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Was Putin lernen muss: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.


Besser spät als nie. Lange hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi auf hohen Besuch aus Berlin, Paris oder Rom gewartet. 93 Tage nach dem ersten Besuch eines EU-Staats- oder Regierungschefs sind nun die Vertreter der EU-Schwergewichte in Kiew eingetroffen: Italiens Premier Mario Draghi, der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Der Quartett-Besuch (zu den "großen Drei" gesellt sich auch Rumäniens Präsident Klaus Iohannis) sei "eine Botschaft der Einigkeit", sagte Macron kurz nach der Ankunft in Kiew.

Der frühere Präsident und heutige Stellvertreter des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, hat diese Reise wenig überraschend als "nutzlos" bezeichnet, "die europäischen Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen", schrieb Medwedew auf Twitter.

Was können die europäischen Staats- und Regierungschefs - außer späte Solidarität zu zeigen - tatsächlich in Kiew ausrichten?

Die Hoffnung, dass der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, mit Sanktionen dazu gebracht werden kann, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu stoppen, war von Anfang an völlig unrealistisch.

Und die Sorge, dass Waffenlieferungen zu einer weiteren Eskalation führen könnten, war ebenfalls grundlos: Putin hat seinen Generälen für diesen Angriffskrieg von Anfang an keine Zurückhaltung auferlegt. Der russische Präsident zwingt Europa seine Kriegslogik auf, und nach dieser verrückten "Logik" - logisch ist in diesem Feld völlig irrationalen und primitiven menschlichen Handelns ja eigentlich nichts - sind Waffenlieferungen nicht nur überlebenswichtig für die Ukraine, sondern auch im Interesse der Europäischen Union, so unschön dieser Gedanke auch sein mag. Denn Putin muss eine alttestamentarische Lektion lernen: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.

Eine Aufrüstung der Ukraine erhöht die Abschreckungswirkung. Putin muss die höheren Kosten an Menschenleben und Material für die Armee der Russischen Föderation ins Kalkül ziehen. Mehr und bessere Waffen ermöglichen der Ukraine zudem, die eigene Bevölkerung wirksamer vor der russischen Aggression zu schützen. Und die nun vom europäischen Quartett in Kiew offen ausgesprochene EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine ist das Versprechen, das die EU der Regierung in Kiew schon seit dem Maidan von 2014 schuldet.

Kriege enden üblicherweise mit einer Kapitulationserklärung, einem Waffenstillstands- oder einem Friedensabkommen. Nun geht es darum, die strategische Position der Ukraine zu stärken - Waffenlieferungen und die EU-Beitrittsperspektive sind dabei wichtige Bausteine.