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Impfpflicht ade - und jetzt?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die Koalition versucht einen Befreiungsschlag, einen Neustart im dritten Sommer der Pandemie.


Die Impfpflicht gegen Sars-CoV-2, obwohl keinen Tag in Kraft, hat die Menschen nicht nur nicht zum Impfen gebracht, sondern auch noch davon abgehalten. So lautet die politische Begründung der Regierung für ihren Rückzieher. Die aufgrund der zwar ansteckenderen, aber eben auch milderen Omikron-Varianten nicht mehr gegebene Verhältnismäßigkeit entzieht der Impfpflicht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit. Und das Ziel, durch das Aus die Polarisierung zu überwinden, ist ein drittes, gesellschaftspolitisches Argument.

Alle drei haben Hand und Fuß, was auch die einschlägigen Experten bestätigen. Sie verdecken jedoch das grundsätzliche Scheitern der Regierung. Die Impfpflicht war eine Panikreaktion aus nackter politischer Not und einer drohenden Eskalation der medizinischen Lage. Weder war die Umsetzung entsprechend vorbereitet - tatsächlich wurde sie über Monate hinweg kategorisch ausgeschlossen - noch waren verwaltungs- und datenschutzrechtliche Hausaufgaben erledigt worden.

Obwohl nicht aktiv, erwies sich schon die Schaffung der gesetzlichen Grundlage als enorme politische Hypothek. Das erratische Pandemiemanagement von ÖVP und Grünen führte zur Gründung der neuen Partei MfG, die laut Umfragen auch bei den anstehenden Wahlen reüssieren könnte, und erleichterte den Wiederaufstieg einer erneut radikalisierten FPÖ. So gesehen entsorgen ÖVP und Grüne also eine Maßnahme, die sich mit Blick auf die in den kommenden Monaten anstehenden Wahlen zu einem tonnenschweren Mühlstein entwickelt hat. Ende September stehen Neuwahlen in Tirol an, im Oktober entscheiden die Wähler über den nächsten Bundespräsidenten, dann folgen Niederösterreich und Kärnten.

Für die ÖVP und Kanzler Karl Nehammer steht in Tirol, vor allem aber im Kernland Niederösterreich viel, wenn nicht schon fast alles auf dem Spiel. Im besten Fall gelingt eine erste Konsolidierung, wenngleich auf gefährlich niedrigem Niveau, im schlimmsten Fall setzt sich der Absturz aus den einst lichten Höhen der Ära von Sebastian Kurz fort. Egal, wie es kommt, es wird Folgen für die Handlungsfähigkeit der Regierung in ungebrochen schwierigen Zeiten haben.

Zuvor aber wird der Zustand der Koalition davon abhängen, ob es ÖVP und Grünen gelingt, ab sofort ein funktionierendes und glaubwürdiges Pandemiemanagement für den Herbst und Winter zu erarbeiten und sodann professionell umzusetzen. Das Aus für die Impfpflicht war dabei noch die leichteste Übung. Die Rückgewinnung des Vertrauens wird - wohlgemerkt im dritten Sommer der Pandemie - ungleich schwerer.