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Bewusstes Missverständnis

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

In jedem Wahlkampf um die Hofburg wird ein Zerrbild des eigentlichen Amts gezeichnet.


Das Amt des Bundespräsidenten ist von überragender Bedeutung für die innere Balance und das äußere Ansehen der Republik. Dass die Bürgerinnen und Bürger direkt über die Besetzung entscheiden, verleiht dem Staatsoberhaupt zusätzlich Gewicht. Das einzige Problem ist, dass in den Präsidentschaftswahlkämpfen alles Mögliche zum Thema wird, nur nicht die eigentliche Substanz dieser höchsten Staatsfunktion.

Das hat sich auch bei der Präsentation von Walter Rosenkranz als FPÖ-Kandidat gezeigt. Unter dem Slogan "Holen wir uns unser Österreich zurück" setzte Parteichef Herbert Kickl zu einer Philippika gegen die Bundesregierung an, gegen die das Land zu verteidigen sei. Dass er - und in rhetorisch abgeschwächter Form auch Rosenkranz - dabei den Schwerpunkt auf die Corona-Politik von Türkis-Grün legte, gibt einen Hinweis darauf, mit welchem Thema die FPÖ mobilisieren zu können glaubt, zumal angesichts der Konkurrenz am eigenen rechten Rand.

Die hochgradig aufwühlenden Fragen einer (mittlerweile aufgehobenen) Impfpflicht, die Anordnungen zum Maskentragen und all die weiteren Einschränkungen sind allein deshalb schon legitime Themen für eine politische Auseinandersetzung, weil sie in der Bevölkerung kontrovers diskutiert werden. Nur mit dem Amt des Bundespräsidenten hat all das herzlich wenig zu tun. Noch in fast jedem Hofburg-Wahlkampf der vergangenen drei Jahrzehnte wurde ein Bild von diesem Amt gezeichnet, das mit der politischen Wirklichkeit allenfalls am Rand zu tun hat.

Ja, der Bundespräsident hat die Möglichkeit, den Kanzler zu ernennen wie zu entlassen; er hat sogar das Recht, die gesamte Regierung aus dem Amt zu entfernen und den Nationalrat aufzulösen. Aber abgesehen von der Ernennung des Kanzlers handelt es sich dabei um Kompetenzen, die für Staatskrisen festgelegt wurden. Die Vorstellung des Bundespräsidenten als Gegenspieler zur Regierung findet in der Verfassung schlicht keine Grundlage. Statt auf Konkurrenz ist die Mechanik der Republik auf ein Miteinander ihrer obersten Staatsgewalten angelegt.

All das wissen natürlich Rosenkranz und Kickl ebenso gut wie alle anderen Kandidaten. Die Chancen sind zudem intakt, dass der integre freiheitliche Volksanwalt seiner eigenen Ankündigung folgend auf einen "Brutalo-Wahlkampf" verzichtet (den werden ohnehin andere führen). Die größere Gefahr liegt darin, dass eine wachsende Anzahl an Bürgern zu glauben beginnt, die alltagspolitisch gebotene Zurückhaltung im höchsten Amt sei einer Verschwörung von "denen da oben" geschuldet.