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Lieber weg

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

In Italien sind zwei Männer an der Macht, die es gar nicht mehr sein wollen.


Die beiden letzten verbliebenen Stabilitätsanker der drittgrößten Volkswirtschaft der EU - des wunderschönen, leider auch chronisch instabilen Italien - wollen nicht mehr und können doch nicht gehen.

Staatspräsident Sergio Mattarella, demnächst 81 Jahre alt, wollte eigentlich den wohlverdienten Ruhestand genießen, doch die vom Volk beauftragten Politiker konnten sich zu Beginn des Jahres auf keinen Nachfolger einigen. Also muss das betagte Staatsoberhaupt unfreiwillig aus Pflichtgefühl weitermachen.

Der demnächst 75-jährige Mario Draghi stand bei keiner Wahl in Italien auf dem Stimmzettel, dennoch ist der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank seit vorigem Jahr Ministerpräsident seines Landes an der Spitze einer auseinanderstrebenden Vielparteienkoalition. Seit Donnerstag, als ihm die bei der vergangenen Wahl noch stimmenstärkste Partei, die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung, im Parlament die Gefolgschaft verweigert hat, will auch Draghi gehen. Doch Staatspräsident Mattarella lässt ihn nicht.

Es gibt schlicht keinen Nachfolger, und Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt hätten das Potenzial, das Land endgültig ins Chaos zu stürzen. Mit unabsehbaren Folgen für Italien wie Europa. Dieses Mal womöglich tatsächlich.

Unser südlicher Nachbar ist nicht das einzige Land der westlichen demokratischen Hemisphäre, wo es Gründe gibt, besser nicht zum jetzigen Zeitpunkt die Wähler um ein Urteil und eine Weichenstellung zu bitten. Auch in Österreich könnte heute niemand verlässlich prognostizieren, welche neue Mehrheiten, welche neue Koalition das Land lenken würden. Die USA zittern vor den Midterm-Wahlen im Herbst und vor einer möglichen Rückkehr Donald Trumps oder eines politischen Klons per 2025. Ebenso ist völlig offen, was und wer in Frankreich regieren wird, wenn das Mandat von Präsident Emmanuel Macron 2027 ausgelaufen ist.

Es gab mit Sicherheit schon einfachere Zeiten für Regierungen, umso wichtiger ist eine diesem Maßstab angemessene öffentliche Bewertung. Das hat nichts mit falsch verstandener Rücksicht und gar nichts mit unangebrachter Milde zu tun. Fehler, Versagen und Versäumnis sind stets klar zu benennen. Aber es sollte nicht der Eindruck entstehen, als wären die gegenwärtigen Probleme im Handumdrehen zu bewältigen.

Trotzdem: Wenn gewählte Parteien und Politiker das Vertrauen der Menschen leichtfertig verspielen, läuft etwas sehr Grundsätzliches schief in unseren Demokratien. Dann sind Persönlichkeiten, die nie zur Wahl standen oder längst abtreten wollen, der letzte Anker. Und eine Demokratie wird zu ihrer eigenen Karikatur.