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Wir sind gespalten

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Zwei starke Reden in Salzburg und die Pflicht, die Handys eingeschaltet zu lassen.


"Wir dürfen uns nicht spalten lassen", warnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen eindringlich mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland in seiner, der Lage der Welt angemessen düsteren Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen. Das Problem ist nur: Wir sind gespalten, waren es immer schon, werden es stärker und stärker, und das längst nicht nur in der Frage der Sanktionen.

Das gemeinsame Fundament an Interessen, Werten, auch Alltagsansichten, scheint nur einer selbstvergessenen Generation wie von Zauberhand erschaffen. In Wirklichkeit wurde es fast immer und überall über Jahrzehnte und Jahrhunderte mühsam geformt und oft genug erzwungen. Das ist heute nicht viel anders als damals; gleichsam von allein, ohne eigenes Zutun, entsteht, besteht nirgendwo ein Fundament an Gemeinsamkeiten.

Anschließend war es am Schriftsteller und heurigen Festredner Ilija Trojanow, festzustellen, dass es "Lügner und Heuchler nicht nur in Russland gibt, auch in Österreich gibt es sie, die Händchenhalter". Das stimmt, und mit einiger Wahrscheinlichkeit ist das auch in allen anderen menschlichen Gemeinschaften nicht wesentlich anders, Institutionen wie die Salzburger Festspiele mit ihren hehren Ansprüchen miteingeschlossen.

"Wissen Sie, was Kunst ist?", fragte Trojanow gegen Ende seiner Rede das anwesende Publikum aus Prominenten, Mächtigen und Meinungsführern. "Es ist die seltene Gelegenheit, Ihr Handy auszumachen."

Politik wäre dann, so ließe sich dieser Gedanke fortspinnen, das Handy wieder einzuschalten, sich den Widersprüchen, Antagonismen und Abgründen dieser Welt auszusetzen. Auch unter diesen Bedingungen hat der Appell, wonach wir uns nicht spalten lassen dürfen, seinen Wert und seine Richtigkeit, und sei es vor allem deshalb, weil fehlende Geschlossenheit die eigene Macht verringert. Aber das ist zuvorderst ein politisches Argument, nicht unbedingt ein moralisches. Eminent politisch ist es, Antworten auf die real existierenden Spaltungen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, zu entwickeln. Denn das ist die Essenz von Politik: Gegen Widersprüche und Gegensätze trotzdem ein gemeinsames Ziel verfolgen, wie unvollkommen auch immer.

Die EU erfährt das gerade im Ringen um einen gemeinsamen Gas-Notfallplan für alle ihre 27 Mitglieder, der erst verkündet, dann aufgrund der unterschiedlichen Interessen auseinandergenommen und nun doch noch notdürftig zusammengeflickt wurde. Die Handys einfach abzuschalten, ist keine echte Option. Die Spaltungen müssen kaschiert, gekittet, durch Zugeständnisse überwunden werden.