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Ruf und Echo

Von Simon Rosner

Leitartikel

Das wechselseitige Misstrauen lähmt in der Krise die Politik.


Auch wenn der Nebel der widerstreitenden Narrative die Sicht auf die Wirklichkeit erschwert, deutet im Moment viel daraufhin, dass das existenzielle Problem der Wien Energie mit einer Haftung über zwei Milliarden Euro aus der Welt geschafft werden kann.

Schon bei der Corona-Krise hatte der Bund, wie selbstverständlich, diverse Haftungen übernommen, und zur Absicherung von Exportgeschäften stellt die Republik, ganz ohne Krise, jedes Jahr sogar 40 Milliarden Euro zur Verfügung.

Dennoch dominiert die Wien Energie seit Tagen die heimische Politik und die Berichterstattung, treibt Mitarbeiter von Parteien zu Twitterrekorden an, und der ehemalige FPÖ-Chef Norbert Hofer sprach sogar von einer "Krise epischen Ausmaßes" und sah die Wienerinnen und Wiener frieren und hungern.

Es ist natürlich nur ein Gedankenspiel: Aber wie wäre der Fall wahrgenommen worden, wenn die Stadt Wien im Frühling auf die besondere Belastung des Versorgers öffentlich hingewiesen hätte? Immerhin handelt es sich um einen Gaskraftwerksbetreiber, und Gas war bereits damals absehbar knapp und teuer. Es wäre für jeden nachvollziehbar gewesen, dass eine solche Situation für die Wien Energie eine enorme Herausforderung ist, dass vielleicht sogar Unterstützungsmaßnahmen nötig sein werden. Hätte das überhaupt Potenzial zum Skandal gehabt?

Doch die Stadtregierung hat die Probleme lieber klandestin behandelt, wie sie es immer tut, um nicht die Erzählung der besten Verwaltung der Welt zu stören. Bis es nicht mehr ging und der Bund per sofort die Milliarden lockermachen sollte. Dass ÖVP, Grüne und FPÖ diese Auflage fast schon genüsslich verwerteten und die Stadt-SPÖ seit Tagen vor sich hertreiben, ist politstrategisch verständlich, wenngleich in Krisenzeiten heikel. Ein Rathaus-Sprecher beschwerte sich auch auf Twitter darüber, dass "jedes Thema verparteipolitisiert" werde und "nicht immer alles gleich ein Mega-Skandal oder unerhört und das Letzte" sei. Das ist grundsätzlich nicht falsch, aber worin besteht in Rhetorik und Taktik der Unterschied zur SPÖ, die von der Bundesregierung seit Monaten nur mehr als Sicherheitsrisiko oder gar als Gefahr für Land und Leute spricht, ob Covid oder Inflation.

Als 2008 die Finanzkrise ausbrach, war das noch anders. Der Streit der großen Koalition pausierte, und sogar bei Covid gab es zu Beginn einen Schulterschluss aller Parteien. Dieses Zusammenwirken macht ein Land resilient. Die Art, wie nun aus einem offenbar lösbaren Problem eines Versorgers ein solcher Orkan wird, zeigt, dass die Resilienz geringer geworden ist. Selbst in der Krise regieren Misstrauen, Rivalität und Revanchegelüste. Wer aber die Schuldigen dafür nur auf der anderen Seite ausmacht, ist Teil dieser Entwicklung.