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Die nächste Neue

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die Kräfte, die für Johnsons Aufstieg sorgten, wirken weiter. Liz Truss ist nur ihre jüngste Schöpfung.


Die rund 175.000 Mitglieder der britischen Tories haben sich entschieden: Außenministerin Liz Truss soll als neue Premierministerin die Trümmer wegräumen, die Boris Johnson auf seinem Bulldozer-Weg durch die britische Politik hinterlässt. Ex-Finanzminister Rishi Sunak, der Favorit der Tory-Abgeordneten, muss am Rande des Spielfelds auf eine neue Chance warten. Aber allein die Tatsache, dass die Abgeordneten lieber einen anderen gewählt hätten, verdeutlicht, wie schwer es Truss fallen wird, die Partei zu einen und die nötigen Reformen umzusetzen.

Apropos Johnson: Die Faszination und auch eigentliche Bedeutung von Politikern wie ihm, Sebastian Kurz und etlichen anderen besteht in der Frage, ob es ihnen gelingt, ihre unter Druck geratenen Parteien neu zu erfinden, an die Macht zu bringen und dann auch dort zu halten. Ohne jedoch - und diese Einschränkung ist wesentlich - übergeordnete Interessen zu gefährden.

Johnsons großes Experiment bestand neben dem Brexit, diesem immer schon autosuggestiven Abenteuer, im Versuch, seine Partei neu zu erfinden und ihre Mehrheit dauerhaft zu sichern. Das ist ihm im Wahlkampf 2019 in beeindruckender Manier gelungen, indem er in linkskonservativen Regionen im vernachlässigten Nordwesten gewildert hat. Allerdings war der Konflikt mit den reichen, saturierten Stammwählern im Südwesten programmiert, zumal sein Konzept auch Steuererhöhungen und massive öffentliche Investitionen vorsah.

Truss setzt Johnsons Idee - mehr ist dieses Unterfangen bis dato nicht - ein abruptes Ende. Das könnte sogar unvermeidlich gewesen sein, weil die Partei ansonsten nicht nur die neuen Stimmen im abgehängten Nordwesten, sondern auch ihre reiche Stammklientel im Südwesten zu verlieren drohte. Die Neue an der Spitze streicht Johnsons Abgaben- und Ausgabenpläne, bleibt dafür aber seiner Linie eines harten Kurses gegen die EU und unverbrüchlicher Treue zu den USA treu. Auch an der britischen Führungsrolle im Konflikt mit Russland und der Unterstützung für die Ukraine wird Truss festhalten.

Weit weniger gesichert ist, ob die neue Premierministerin zu liefern vermag, was Großbritannien jetzt am dringendsten benötigt: statt einer Fortsetzung der emotionalen Achterbahnfahrt eine berechenbare und verlässliche Regierungspolitik, die sich den zahlreichen echten Problemen des Landes verschreibt. Die Chancen stehen schlecht. Die Kräfte, die für Johnsons Aufstieg sorgten, wirken weiter. Truss ist nur ihre jüngste Schöpfung.