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Die Lehren des 9. Oktober

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Am Wahlabend wird sich zeigen, wie groß und diszipliniert die breite politische Mitte ist.


Noch eine Woche, dann ist dieser ungewöhnliche Wahlkampf um das höchste Amt im Staat geschlagen, dann sind die Bürgerinnen und Bürger am Wort. Wahlen stellen Weichen, sei es personeller oder inhaltlicher Natur, und erteilen dabei verlässlich auch eine Lektion über den Zustand des jeweiligen Landes. Welche handfesten Erkenntnisse also werden die Wahlen für das Amt des Bundespräsidenten mit dem Amtsinhaber und sechs Herausforderern als Kandidaten verschaffen, die wir zuvor nicht schon hatten?

Der Wahlabend wird zunächst einmal über die Wut- und Fruststimmung von links bis ganz weit rechts halbwegs verlässlich Auskunft geben. Potenzial dafür gibt es zuhauf. Eine zweistellige Inflationsrate frisst die Sparguthaben auf und treibt die Preise nach oben; hinzu kommen exorbitante Energiekosten, die Furcht vor kalten Wohnungen und stillgelegten Fabriken im Winter, was wiederum eine emotionale Debatte über eigenen Verzicht beflügelt; und natürlich der Wirtschaftskrieg gegen Russland.

Die Summe der Stimmen, welche die Herausforderer auf sich vereinen können, wird zudem anzeigen, wie groß die Unzufriedenheit mit der Verfasstheit der Republik an sich ist. Das ist eine andere, viel grundsätzlichere Kategorie als die bloße Unzufriedenheit mit dieser oder jener Regierung. Hinzu kommt, dass es den Herausforderern an einer breitenwirksamen und charismatischen Führungsfigur fehlt, um das tatsächliche Reservoir an Unzufriedenen zu maximieren. Die geringe Aussicht auf einen Wahlerfolg hält etliche womöglich von der Stimmabgabe ab.

Die wichtigste Aussagekraft dieser Wahl liegt jedoch nicht beim Protestpotenzial. Tatsächlich wird sich am 9. Oktober zeigen, wie groß, mobilisierbar und diszipliniert all jene Gruppen sind, die es für eine gute Sache erachten, dass das höchste Amt im Staat von einer politisch ausgleichenden wie erfahrenen Persönlichkeit bekleidet wird und weiß, dass der Bundespräsident weder Ersatz- noch Über-Kanzler ist, sondern der oberste Krisenmanager der Republik ohne Mandat für inhaltliche Weichenstellungen.

Zugegeben: All das kann man auch anders sehen und tatsächlich bietet die Verfassung erstaunlich viel Interpretationsspielraum bei der Auslegung des Amts des Bundespräsidenten. Der ultimative Belastungstest ist der Republik bisher erspart geblieben. Aber das muss nicht so bleiben.

Von daher zeigt das Wahlergebnis für Alexander Van der Bellen die Bereitschaft an, wie groß die breite Mitte der Republik tatsächlich ist, die einem angestrebten Generalumbau eine Absage erteilt. Ganz ohne zweiten Durchgang und unangebrachtes Pathos.