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Europas Grenzen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die EU muss ernst machen mit dem Anspruch zu wissen und zu bestimmen, wer herein und wer wieder raus will.


Der Traum vom grenzkontrollfreien Europa erweist sich als mühsamer, als bei der Grundsteinlegung wohl erwartet wurde. Es lohnt sich allerdings hinzuweisen, dass diese Mühen die Folge einer glücklichen Fügung auf der "anderen Seite" sind.

Als das Schengener Abkommen 1985 in der gleichnamigen kleinen luxemburgischen Winzergemeinde von Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichnet wurde, garantierte der Eiserne Vorhang, dass kaum illegale Übertritte stattfanden. Das Ende des Kommunismus brachte in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Freiheit und eine europäische Perspektive - und der EU heute eine offene Flanke gen Südosten. Zudem ist das Mittelmeer dabei, von einem Grenzmeer wieder zu einem Binnenmeer zu werden, wie es die längste Zeit der vergangenen 3.000 Jahre der Fall war.

Es gibt einfachere Unterfangen als Grenzen zu sichern in einer Welt, die eigentlich von offenen Grenzen profitiert. Die EU wäre nicht der wohlhabendste Wirtschaftsraum der Welt, wenn sie nicht vom freien Austausch mit Ideen, Waren und, ja, auch Menschen. Natürlich lassen sich Grenzen sichern und überwachen, durch physische Kontrollen und digital. Ein politischer Raum muss wissen und bestimmen, wer sein Territorium betritt oder verlässt. Wer davor kapituliert, gibt seine Souveränität auf. Lückenlos wird das nicht funktionieren, weil nichts lückenlos funktioniert. Es geht ums Prinzip.

Von diesem Prinzip ist die EU bei ihren Außengrenzen so weit entfernt, dass es in ihrem Inneren zu einer Hypothek geworden ist. Längst nicht nur in Österreich, aber hier ganz besonders, weil wir in den allermeisten Fällen Prinzipien auch tatsächlich hochhalten. Die im EU-Vergleich hohe Zahl der Asylanträge und erteilten Asylbewilligungen ist nur ein Beleg dafür.

Im Vertrauen auf die größere eigene Umsetzungsmöglichkeit agiert Österreich, egal, welche Parteien an der Regierung sind, verlässlich als Bremser, wenn es darum geht, Sicherheits- und Grenzschutzfragen zu europäisieren. Das war lange nicht einmal ganz falsch. Allerdings sind heute die Zeiten und Bedingungen andere.

Es ist Zeit, dass die EU mehr Verantwortung an ihren Außengrenzen übernimmt. Die Staaten sind überfordert oder unwillig oder beides. Das wird kosten, viel sogar, und dauern; auch wäre "Brüssel" einmal mehr ein dankbarer Sündenbock für die anhaltenden Probleme nationaler Politik. Aber die EU muss ernst machen mit dem Anspruch zu wissen und zu bestimmen, wer herein und wer wieder raus will.