Zum Hauptinhalt springen

Durchgreifen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die Politik muss liefern, das heißt: Entscheidungen treffen.


Es ist der Traum aller Macher, die gegen Widerstände - echte, eingebildete und inszenierte - anrennen: ein Durchgriffsrecht.

Erst jüngst hat der in Sachen Asyl vielgeplagte Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) ein solches für den Innenminister gefordert, wie es 2015/2016 schon einmal in Kraft war, weil das Bund-Länder-Abkommen zur Unterbringung von Flüchtlingen nicht funktioniert. Sebastian Kurz pochte auf ein Durchgriffsrecht als Bedingung für die Übernahme der ÖVP, die Partei stimmte freudig zu. Bei Jörg Haider selig ging es um eine "Generalvollmacht": Die forderte er erstmals 1989 und bekam sie vorübergehend 1998.

Die Liste ist höchst unvollständig, und das Bedürfnis nach einem/r, der/die die Dinge in Ordnung bringt oder längst überfällige Entscheidungen trifft (und dann auch durchsetzt), ist keineswegs nur auf pittoreske Kleinstaaten beschränkt, deren Parteien und Politik zusehends vorrangig mit sich selbst beschäftigt sind. Diese Sehnsucht nach klaren Verhältnissen kennt man auch aus Brüssel, der Hauptstadt der Europäischen Union, und von anderen ähnlich komplizierten Organisationen.

Wer dieses Verlangen vorschnell mit dem Ruf nach einem starken Mann, einer ebensolchen Frau - kurz: nach autoritären Verhältnissen - verwechselt, fällt einem Missverständnis zum Opfer. Richtig ist, dass Demokratie nicht zum Zweck hat, den Politikern ihr Leben zu erleichtern. Genauso wenig darf es allerdings das Ziel von Demokratie sein, notwendige Entscheidungen zu verschleppen oder überhaupt zu blockieren. So gesehen kann Regieren durchaus in einem Spannungsverhältnis zu bestehenden Mehrheiten - regional, national und EU-weit - stehen. Die Durchsetzung bestehender Gesetze und rechtlicher Verpflichtungen darf allerdings nicht von Mehrheiten abhängig sein. Das hat nichts (oder wenig) mit Politik zu tun, dafür umso mehr mit Rechtsstaatlichkeit.

Auf Dauer Entscheidungen gegen Mehrheiten zu treffen (gewollt oder gezwungen, beides ist möglich), setzt jede demokratische Ordnung unter Stress. Doch weil Stimmungen wie Meinungen unablässig in Bewegung, von Umständen und Großwetterlagen abhängig und genau deshalb so gut wie nie tatsächlich in Stein gemeißelt sind, ergibt sich daraus das unendlich weite Betätigungsfeld für eine Politik, die gestalten will. Wer diesen Gestaltungsanspruch aufgibt oder auch nur aus den Augen verliert, ruft dann gern nach Durchgriffsrechten.

Ein solches Basta-Instrumentarium kann sich durchaus als nützlich erweisen, jedenfalls in Krisen und Ausnahmefällen. Die Politik muss liefern, das heißt: Entscheidungen treffen. Aber es bleibt eben auch eine Bankrotterklärung der jeweils zuständigen Verantwortlichen.