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Fetisch Zaun

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Zäune sind ein Mittel der symbolischen Politik für Befürworter wie Gegner.


Europa und Zäune, das ist nach 1945 eine so komplizierte wie traumatische Beziehung. Da war einmal der Eiserne Vorhang, der mit der Berliner Mauer im Zentrum Europa in zwei Hälften spaltete; dessen Ende wurde 1989 in einem ikonisch inszenierten Foto festgehalten, auf dem die Außenminister Österreichs und Ungarns einen eigens dafür aufgebauten Stacheldrahtzaun durchschneiden.

Nie wieder Zäune, nie wieder Spaltung, hoch das grenzenlose Europa: So lautete ab nun das Versprechen an die Zukunft. Das war eine symbolisch aufgeladene Übertreibung, und zugleich neue Wirklichkeit. Innerhalb der EU wurden Grenzkontrollen abgebaut, verschwanden Grenzbalken aus den Augen und damit aus dem Sinn.

Diese Vorgeschichte hilft die Abneigung, ja geradezu Phobie zu erklären, die leidenschaftliche EU-Anhänger vor einer Rückkehr der Zäune als Symbol von Trennung, Abschottung und Aussperrung haben. In ihren Augen schließen sich Zäune und die Idee eines vereinten und offenen Europas wechselseitig aus. Ins argumentativ Radikale gesteigert, führen Zäune dabei direkt zu einem Schießbefehl auf unwillkommene Migranten.

Das ist natürlich grober Unfug, wie im Übrigen auch die Fetischisierung von Zäunen. Die Errichtung solcher Barrieren ist kein Allheilmittel, um den Außengrenzschutz zu gewährleisten, wie aktuell die ÖVP nicht müde wird zu betonen; allerdings sind solche Hindernisse auch nicht gänzlich wirkungslos, wie manche Kritiker behaupten. (Andernfalls hätte US-Präsident Obama kaum fortgesetzt, was sein Vorgänger Bush an der US-Grenze zu Mexiko begonnen hatte und sein Nachfolger Trump zur großen Show aufblies.) Und ja, Zäune sind ein Mittel der symbolischen Politik für Befürworter wie Gegner. Genau darin liegt ja auch ein Gutteil ihrer Attraktivität für politische Instrumentalisierung.

Die Fixierung auf ein, wenngleich relevantes Detail führt verlässlich dazu, dass jede öffentliche Debatte über das zugrunde liegende Thema auf eine schiefe Bahn gerät. Für einen wirksamen Außengrenzschutz der EU braucht es ein vielschichtiges Gesamtkonzept, an dessen Spitze ein politischer Konsens über Ziele und Mittel stehen. Zu Letzteren werden unvermeidlich moderne Technologien zur Überwachung und Identifizierung gehören. Doch selbst dann werden Menschen Wege finden, die aufgestellten Hürden zu überwinden. Je größer die Krisen vor der eigenen Haustür, desto mehr. Womit wieder die Kunst der Politik ins Spiel kommt, Krisen zu verhindern, zu managen und zu befrieden. Davon ist in der EU fast nichts zu hören - und von Österreich noch weniger.