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Von Bildung und Politik

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Das Machtverhältnis zwischen Bürgern und Politik hat sich umgekehrt. Das ist gut und trotzdem ambivalent.


Wie sich der Bildungsstand der Bürger mit dem Verhältnis zur Politik verändert, ist eine der spannendsten Fragen für die Zukunft. Zumal es sich dabei um keine Einbahnstraße handelt, sondern um einen dynamischen Prozess, der auch überraschende - und ambivalente - Entwicklungen beinhaltet.

Die am Dienstag von den Meinungsforschern Peter Hajek und Peter Ulram präsentierte Langzeitstudie zum politischen Bewusstsein zeigt, wie die Bildungsexplosion seit den 1970ern die bis dahin akzeptierte Autorität der politischen Eliten unterwandert und deren Ansehen aushöhlt. Offen ist, ob dieser Prozess unter weniger krisenhaften Bedingungen, wie sie aktuell bestehen, und mit einer neuen Politikergeneration, denen die Menschen mehr Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit attestieren, auch wieder umkehrbar wäre.

Als "Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk" hat Abraham Lincoln die Vision der repräsentativen Demokratie in seiner berühmten Gettysburg-Rede von 1863 kompakt zusammengefasst. Die Politik muss dabei den unmöglichen Spagat zwischen Führen und Dienen zustande bekommen. Immer höhere (Aus-)Bildung, gekoppelt mit dem Trend zur Individualisierung, hat zur Folge, dass sich immer weniger Menschen führen lassen wollen und dafür umso vehementer den dienenden Aspekt des Politikerdaseins einfordern.

Außer Zweifel steht, dass die wachsende Akademisierung breiter Schichten mit dem Anspruch einhergeht, damit auch die Probleme - samt Lösungen - einer immer komplexeren Wirklichkeit zu erfassen. Inwiefern das tatsächlich der Fall ist, darf durchaus bezweifelt werden. Das Sokrates zugeschriebene antike Sprichwort "Ich weiß, dass ich nichts weiß" haben leider die wenigsten Besserwisser verinnerlicht, die auch im Journalismus anzutreffen sind. Dass mehr Wissen zwangsläufig zu immer mehr offenen Fragen und niemals zu allen Antworten führt, ist der große blinde Fleck aller Selbstermächtigungskurse.

Der schrittweise und unvermeidbare Verfall der Vertrauensbeziehung zwischen Bürgern und Eliten ist gleichzeitig das beste Gegengift für Misswirtschaft. Zumindest im umgangssprachlichen Sinn war Korruption in den "guten alten Zeiten" häufiger anzutreffen als heute, weil "kein Kläger, wo kein Richter".

Und fast beruhigend mutet an, dass 73 Prozent der Befragten im Jahr 1974 überzeugt waren, dass "die Politiker sich nicht viel um das kümmern, was Leute wie ich denken". Ende 2022 sind es 75 Prozent. Ein kleiner Untertanenrest steckt in fast allen von uns.