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Die Lehren von Davos

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Resilienz ist in unsicheren Zeiten wichtiger als Effizienz.


Davos, eine 10.000-Einwohner-Stadt in den Schweizer Bergen, ist dem breiten Publikum gleich zweifach bekannt: als Schauplatz von Thomas Manns Bildungsroman "Der Zauberberg" und als Veranstaltungsort des alljährlich dort stattfindenden Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum - WEF).

Die Eliten aus Politik und Wirtschaft, die einander in Davos begegnen, mögen zwar von der Welt ähnlich abgeschirmt sein wie die Patienten in Manns Roman, doch ihre Gestaltungskraft und Wirkmacht auf diese Welt sind beträchtlich. Vergangenen Freitag endete das Weltwirtschaftsforum, doch was sind die Erkenntnisse der WEF-Woche?

Vielleicht wird der wirtschaftliche Abschwung weniger dramatisch als befürchtet: Die stellvertretende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Gita Gopinath, warnte in Davos zwar vor den immer noch spürbaren Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, sie strich aber gleichzeitig die Resilienz vieler Volkswirtschaften heraus: Das Konsumlevel bleibe erstaunlich stabil, auch die Arbeitsmärkte blieben in vielen Volkswirtschaften überraschend stark. Möglicherweise gehe es mit der Weltwirtschaft schon in der zweiten Hälfte des Jahres wieder etwas bergauf.

Und tatsächlich: Europa hat bisher Wladimir Putins Gaswaffe erstaunlich gut getrotzt, und China könnte sich nach dem Ende der Zero-Covid-Politik erstaunlich rasch erholen, was wiederum die weltweite Konjunktur befeuern würde. Fazit: Die Sorge weicht langsam zurück, es keimt Hoffnung auf. Das bedeutet aber auch, dass die Energiepreise und auch die Inflation zumindest mittelfristig hoch bleiben könnten.

Politik und Wirtschaft haben begonnen, die disruptiven Ereignisse Covid-19 und Ukraine-Krieg zu verarbeiten. Die Balance verschiebt sich von Effizienz zu Resilienz. Logistikketten werden vereinfacht und verkürzt, Lagerkapazitäten erhöht, redundante Systeme geschaffen und Produktionsstandorte zurück in die Absatzmärkte verlagert. Das bedeutet, dass die Globalisierungsdividende niedriger Preise für die Konsumenten bei gleichzeitig hohen Profiten für die Unternehmen nicht mehr länger kassiert werden kann.

Gleichzeitig mit der Deglobalisierung droht eine Zersplitterung der Tech-Welt, denn mit dem Versuch der USA, China den Zugang zu US-Technologie zu verwehren, wird das Reich der Mitte seine digitale Autarkie ausweiten und auf eigene Lösungen setzen. Die schon bestehende chinesische digitale Mauer wird noch unüberwindlicher, was zu einer noch stärkeren kulturellen Entkopplung führen wird. Angesichts der Klimakrise sollten die Supermächte eigentlich kooperieren. Stattdessen schreitet die Fragmentierung der Welt voran.