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Über Binsenweisheiten

Von Simon Rosner

Leitartikel

Wahltage bringen Überraschungen, die eigentlich gar keine sind.


Ein kleiner Rückblick auf politische Weisheiten der jüngeren Vergangenheit:

Wenn es der ÖVP in Niederösterreich gelingt, ordentlich zu mobilisieren, kann sie einen Absturz vermeiden. Doch was ist passiert? Am Sonntag ist die Wahlbeteiligung tatsächlich gestiegen, doch die Niederlage der ÖVP nahm historische Ausmaße an. In Gemeinden, in denen die Wahlbeteiligung besonders hoch war, waren die Verluste sogar überdurchschnittlich.

Die FPÖ kann mit Herbert Kickl und seinem fundamentalen Kurs zwar die blauen Fans bedienen, er schreckt aber zu viele potenzielle Wähler ab, 20 Prozent werden in etwa der Plafond sein. Nun aber hat die FPÖ in Niederösterreich mit einem Kurs Marke extrascharf das beste Ergebnis aller Zeiten erreicht, und im Bund macht sie sich langsam in Richtung 30 Prozent auf.

Für die SPÖ ist das Thema Teuerung ein Elfer ohne Tormann, sie müsste in Umfragen geradezu hinaufschießen. Am Sonntag verloren die Roten in Niederösterreich 3 Prozentpunkte, auf Bundesebene schwächeln sie seit Monaten. Eine akute Umfrageschwäche sozialdemokratischer Parteien offenbart sich jedoch in fast allen europäischen Ländern, egal ob regierend (Deutschland) oder in Opposition (Niederlande), klein (Griechenland) oder groß (Portugal), Norden (Norwegen) oder Süden (Spanien). Themenlage allein dürfte zu wenig sein.

Die Grünen verbrauchen sich auf Dauer in einer Koalition mit der ÖVP, werden dadurch unglaubwürdig und könnten bei der nächsten Wahl große Problem bekommen. Am Sonntag legten die Grünen, die seit 2020 erstmals auf Bundesebene mitregieren, wie bereits in Wien und im Burgenland zu, nur in Tirol gab es ein Minus. In Niederösterreich war es für die Grünen das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte.

Wenn die ÖVP zu weit rechts hinausrückt und zu konservativ auftritt, droht sie Wähler an die Neos zu verlieren. Doch wo war diese Wählerwanderung trotz des in der Öffentlichkeit (und in der Partei?) fast gar nicht mehr präsenten gesellschaftspolitisch liberalen Flügels in der ÖVP? Die Vokspartei rann in Niederösterreich fast ausschließlich in Richtung FPÖ aus. Das, immerhin, bestätigt eine weitere Weisheit, dass nämlich der Wähler nicht zum Schmiedl, sondern zum Schmied geht, der in Sachen Asyl ganz klar die FPÖ ist.

Dennoch, vielleicht waren zuletzt zu viele Weisheiten im Umlauf, die mehr Binsenweisheiten als Empirie darstellen. Der Wahltag bringt dann eine Überraschung, die eigentlich gar keine ist. Man fragt sich aber vor allem: Wissen es die oft ebenso überraschten Parteien, die viel Geld für Beratung und Campaigning in die Hand nehmen (und vor allem ausgeben!) selbst nicht besser oder können sie nicht anders?